Ungekürztes Werk "Der Schuß von der Kanzel" von Conrad Ferdinand Meyer (Seite 7)

meine Mutter ist eine selige Rollenbutz …«

»Will Er mir seinen ganzen verfluchten Stammbaum explizieren? Was Vetter? Mein Bruder ist Er – alle Menschen sind Brüder! Scher' Er sich zum Teufel!« und Wertmüller wandte ihm den Rücken.

Pfannenstiel regte sich nicht. Der Empfang des Generals hatte ihn versteinert.

»Fannen-stiel –« buchstabierte der Schwarze das ihm noch unbekannte Wort, als wolle er seinen deutschen Sprachschatz bereichern.

»Pfannenstiel?« wiederholte auch der aufmerksam werdende General, »der Name ist mir bekannt – halt, Er ist doch nicht der Autor«, und er kehrte sich dem Jüngling wieder zu, »der mir gestern seine Dissertation über die Symbolik der Odyssee zugesendet hat?«

Pfannenstiel neigte bejahend das Haupt.

»Dann ist Er ja ein ganz liebenswürdiger Mensch!« sagte Wertmüller und ergriff ihn freundlich bei der Hand. »Wir müssen uns kennenlernen.«

Viertes Kapitel

Er trat mit dem Gaste in die Veranda, drückte ihn auf einen Sitz nieder, goß ihm eines der auf dem Schenktische stehenden Gläser voll und ließ ihn sich erholen und erquicken.

»Der Empfang war militärisch«, tröstete er ihn dann, »aber Ihr werdet im Soldaten keinen unebenen Hauswirt finden. Ihr nächtigt heute auf der Au – ohne Widerrede! – Wir haben manches zu verhandeln. – Seht, Lieber, Eure Abhandlung hat mich ganz angenehm unterhalten«, und Wertmüller langte nach dem Buche, welches in einer Fensternische des die Rückwand der Veranda bildenden Erdgeschosses lag und zwischen dessen Blätter er die zerlesene Dissertation des Kandidaten eingelegt hatte.

»Zuerst eine Vorfrage: Warum habt Ihr mir Euer Werk nur mit einer Zeile zugeschrieben, statt mir es coram populo auf dem ersten weißen Blatte mit aufrichtigen, großen Druckbuchstaben zu dedizieren? Weil ich mit den Pfaffen, Euren Kollegen, gespannt bin, he? Ihr habt keinen Charakter, Pfannenstiel; Ihr seid ein schwacher Mensch.«

 Der Kandidat entschuldigte sich, seine unbedeutende Arbeit habe den Namen des berühmten Feldherrn und Literaturkenners nicht vor sich her tragen dürfen.

»Durchaus nicht unbedeutend«, lobte Wertmüller. »Ihr habt Phantasie und seid in die purpurnen Tiefen meines Lieblingsgedichtes untergetaucht, wie nicht leicht ein anderer. Freilich um etwas Absurdes zu beweisen. Aber es ist einmal nicht anders: wir Menschen verwenden unsere höchsten Kräfte zu albernen Resultaten. Dachtet Ihr daran, mich rechtzeitig zu Rate zu ziehen, ich gab Eurer Dissertation eine Wendung, die Euch selber, Eure pfäffischen Examinatoren, das ganze Publikum in Erstaunen gesetzt hätte. Ihr habt es gefühlt, Pfannenstiel, daß die zweite Hälfte der Odyssee von besonderer Schönheit und Größe ist. Wie? Der Heimgekehrte wird als ein fahrender Bettler an seinem eigenen Herde mißhandelt. Wie? Die Freier reden sich ein, er kehre niemals wieder und ahnen doch seine Gegenwart. Sie lachen und ihre Gesichter verzerrt schon der Todeskampf – das ist Poesie. – Aber Ihr habt recht, Pfannenstiel, was nützt mir die Poesie, wenn nicht eine Moral dahinter steckt? Es ist eine Devise in das Zuckerwerk hineingebacken – zerbrechen wir es! Da der Odysseus nicht bloß den Odysseus bedeuten darf, wen oder was bedeutet er denn? Unsern Herrn und Heiland – so beweist Ihr und habt Ihr es drucken lassen –, wenn er kommt zu richten Lebendige und Tote. Nein, Kandidat, Odysseus bedeutet jede in Knechtsgestalt mißhandelte

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