Ungekürztes Werk "Der Schuß von der Kanzel" von Conrad Ferdinand Meyer (Seite 8)

Wahrheit mitten unter den übermütigen Freiern, will sagen, Faffen, denen sie einst in sieghafter Gestalt das Herz durchbohren wird.

He, Kandidat, wie gefällt Euch das? – So hättet Ihr es wenden sollen und seid gewiß, Eure Dissertation hätte gerechtes Aufsehen erregt!«

Pfannenstiel erbebte bei dem Gedanken, daß sich seiner Symbolik diese gotteslästerliche und verwegene Wendung hätte geben lassen. Sein einfaches Wesen ließ ihn den Pferdefuß des alten Spötters nicht oder doch nur in unbestimmten Umrissen erkennen.

Um sich der Verlegenheit zu entziehen, dem alten Freigeiste eine Antwort zu geben müssen, nahm der Kandidat den Pergamentband in die Hände, mit welchem Wertmüller während seiner Rede gestikuliert hatte. Es war die aldinische Ausgabe der Odyssee. Pfannenstiel betrachtete andächtig das Titelblatt des seltenen Buches. Plötzlich fuhr er zurück wie vor einer züngelnden Natter. Er hatte auf dem freien Raume links neben dem Wappen des venezianischen Buchhändlers etwas verblichene, kühn fließende Federzüge entdeckt, die folgende Zeilen bildeten:

Georgius Jenatius me jure possidet

Constat R. 4. Kz. 12.

Er warf das Buch weg, als atme es einen Blutgeruch aus.

Damals moderte der fragwürdige Bündner schon seit Dezennien in der Domkirche von Chur, während sein Bild in zahmen und unpatriotischen Zeiten sich zu ­einem widerwärtigen verzerrt hatte, so daß nur der Apostat und der Blutmensch übrigblieb. Pfannenstiel betrachtete ihn einfach als ein Ungeheuer, an dessen Dagewesensein er kaum glauben, das er sich nicht realisieren konnte.

Der General weidete sich an seinem Schrecken, dann sagte er leichthin: »Der liebe Mann, Euer gewesener Kollege, hat mich damit beschenkt, wie wir noch auf gutem Fuße standen und ich ihn auf seinem Malepartus in Davos besuchte.«

»Also hat er doch gelebt!« sprach der Kandidat halb­laut vor sich hin, »er hat Bücher besessen, wie unser­einer, und ihren kostenden Preis auf das Titelblatt geschrieben.«

»Jawohl hat er gelebt, und recht persönlich und zähe«, sagte der General mit kurzem Lachen. »Noch heute nacht träumte mir von dem Bündner … Das kam daher, daß ich mich den ganzen gestrigen Tag mit einem häßlichen Geschäfte abgegeben hatte. Ich schrieb mein Testament nieder, und was ist kläglicher, als bei atmendem Leibe über seinen Besitz zu verfügen, der ja auch ein Teil von uns selber ist!«

Die Neugierde des jungen Geistlichen wurde rege. Vielleicht war es ein warnendes Traumgesicht gewesen, das, fein und erbaulich ausgelegt, in dem ihm Gegenübersitzenden einen guten und frommen Gedanken konnte entstehen lassen. »Wollt Ihr mir Euern Traum nicht mitteilen?« fragte er mit einem gefühlvollen Blicke.

»Er steht zu Diensten. Es war in Chur. Menschengedränge, Staatsperücken, Militärpersonen, – von der Hofkirche her Geläute und Salutschüsse. Wir treten unter dem Torbogen hervor in den bischöflichen Hof. Jetzt gehen wir zu zweien, neben mir ein Koloß. Ich sehe nur einen Federhut, darunter eine Gewaltsnase und den in den Kragen gesenkten pechschwarzen Spitzbart: ›Wertmüller‹, fragte der Große, ›wen bestatten wir?‹ – ›Ich weiß nicht‹, sage ich. Wir treten in die Kathedrale zwischen das Gestühl des Schiffes. ›Wertmüller‹, fragte der andere, ›wem singen sie ein Requiem?‹ – ›Ich weiß nicht‹, sag' ich ungeduldig. ›Kleiner Wertmüller‹, sagt er, ›stell dich einmal auf die Zehen und sieh, wer da vorn aufgebahrt

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