Ungekürztes Werk "Galgenlieder" von Christian Morgenstern (Seite 31)

Weib, mit rasender Gebärde:

»So bringen Sie ihm das – und das –.«

(Sie spie die ganze Reling naß.)

Das Schiff, auf dem sie fuhr, hieß ›Erde‹.

Vier Teufelslegendchen

I. Der Schüler

Ein Schüler in Paris,

gestorben und zur Hölle verdammt,

sich eines Abends wies

vor seinem Lehrer, der noch im Amt.

Ein Hemd war sein Gewand,

das war mit lauter Sophismen bestickt.

Und nachdem er den Unglücksmann angeblickt …

verneigte er sich und verschwand.

II. Der Maler

Ein Maler kühlte sein Gelüst –

und malte in der Apsis Grund

den Teufel wüst wie einen Hund.

Da stieß ihn dieser vom Gerüst.

Doch tiefer unten Maria stand.

Die reichte ihm ganz schnell die Hand

und, daß er stehn kunnt, seinem Fuß

den Schnabel ihres winzigen Schuhs –

und sprach zu dem Erschrocknen: »Sieh,

so lohnt die junge Frau Marie

dem Schelm, der heute schier geprahlt,

doch vordem sie so schön gemalt!«

III. Der Rabbiner

Ein Prager Rabbiner, namens Brod,

gelangte durch teuflische Magie

zu solcher Macht, daß selbst der Tod

vergebens wider ihn Flammen spie.

Doch endlich geriet es dem Tode doch:

Er verbarg sich in einer Rose Grund.

Der Teufel dachte der Rose nicht, und

der Rabbiner starb, als er an ihr roch.

IV. Der Hahn

Zu Basel warf einst einen Hahn

der hohe Magistrat ins Loch,

dieweil er eine Tat getan,

die nach des Teufels Küche roch.

Er hatte, wider die Natur,

ein Ei gelegt, – dem Herrn zum Trotz!

Doch nicht genug des Frevels nur, –

er schien auch reulos wie ein Klotz.

So ward er vor Gericht gestellt,

verhört, gefoltert und verdammt,

und Rechtens dann, vor aller Welt,

ein Holzstoß unter ihm entflammt.

Der Hahn schrie kläglich Kikriki,

der Basler Volk sang laut im Kreis.

Doch plötzlich rief wer: »Auf die Knie!

Gottlob! jetzt schrie er – Kyrieleis!«

Zeitgedichte

Die Zeit

Es gibt ein sehr probates Mittel,

die Zeit zu halten am Schlawittel:

Man nimmt die Taschenuhr zur Hand

und folgt dem Zeiger unverwandt.

Sie geht so langsam dann, so brav

als wie ein wohlgezogen Schaf,

setzt Fuß vor Fuß so voll Manier

als wie ein Fräulein von Saint-Cyr.

Jedoch verträumst du dich ein Weilchen,

so rückt das züchtigliche Veilchen

mit Beinen wie der Vogel Strauß

und heimlich wie ein Puma aus.

Und wieder siehst du auf sie nieder;

ha, Elende! – Doch was ist das?

Unschuldig lächelnd macht sie wieder

die zierlichsten Sekunden-Pas.

Das Grammophon

Der Teufel kam hinauf zu Gott

und brachte ihm sein Grammophon

und sprach zu ihm, nicht ohne Spott:

»Hier bring ich dir der Sphären Ton.«

Der Herr behorchte das Gequiek

und schien im Augenblick erbaut:

Es ward fürwahr die Welt-Musik

vor seinem Ohr gespenstisch laut.

Doch kaum er dreimal sie gehört,

da war sie ihm zum Ekel schon, –

und höllwärts warf er, tief empört,

den Satan samt dem Grammophon.

Die Tafeln

Man soll nichts gegen jene Tafeln sagen,

die eine Hand an ihrer Stirne tragen,

den Namen einer Schenke nahebei,

den Paragraphen einer Polizei.

Sie sind, wenn sonst nichts spricht im weiten Land,

ein wundervoller justiger Verstand.

Bescheiden zeugt ihr Dasein von Kultur:

Hier herrscht der Mensch – und nicht mehr Bär und Ur.

Die Stationen

Überall, auf allen Stationen

ruft der Mensch den Namen der Station,

überall, wo Bahnbeamte wohnen,

schallt es ›Köpnick‹ oder ›Iserlohn‹.

Wohl der Stadt, die Gott tut so belohnen:

Nicht im Stein nur lebt sie, auch im Ton!

Täglich vielmals wird sie laut verkündet

und dem Hirn des Passagiers verbündet.

Selbst des Nachts, wo sonst nur Diebe munkeln,

hört man: ›Kötzschenbroda‹, ›Schrimm‹, ›Kamenz‹,

sieht man Augen, Knöpfe, Fenster funkeln;

kein Statiönchen ist so klein – man nennts!

Prenzlau,

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