Ungekürztes Werk "Galgenlieder" von Christian Morgenstern (Seite 32)

Bunzlau kennt man selbst im Dunkeln

dank des Dampfs verbindender Tendenz.

Nur die Dörfer seitwärts liegen stille …

Doch getrost, auch dies ist Gottes Wille.

Der Bahnvorstand

Der Bahnvorstand des kleinen Orts

bedünkt vom Rang sich eines Lords.

Ein Vororts-, Fern- und Güterzug

zu gleicher Zeit (!) – das ist genug.

Er streckt die Hand vorn in die Brust

und blickt mit wahrer Feldherrnlust.

Er steckt den Arm bald her, bald hin:

Sein Leben hat nun wirklich Sinn …

Zum Größten spräch sein Herz nun: »Komm!«

Er ist ein Mensch; voilà! un homme!

Der Glaube

Eines Tags bei Kohlhasficht

sah man etwas Wunderbares.

Doch daß zweifellos und wahr es,

dafür bürgt das Augenlicht.

Nämlich standen dort zwei Hügel,

höchst solid und wohl bestellt;

einen schmückten Windmühlflügel

und den andern ein Kornfeld.

Plötzlich eines Tags um viere

wechselten die Plätze sie;

furchtbar brüllten die Dorfstiere,

und der Mensch fiel auf das Knie.

Doch der Bauer Anton Metzer,

weit berühmt als frommer Mann,

sprach: »Ich war der Landumsetzer,

zeigt mich nur dem Landrat an.

Niemand anders als mein Glaube

hat die Berge hier versetzt.

Daß sich keiner was erlaube:

Denn ich fühle stark mich jetzt.«

Aller Auge stand gigantisch

offen, als er dies erzählt.

Doch das Land war protestantisch,

und in Dalldorf starb ein Held.

Der Großstadtbahnhoftauber

(Eine Zivilisationsballade)

Der Großstadtbahnhoftauber pickt,

was Gott sein Herr ihm fernher schickt.

Aus Salzburg einen Zehntel Kipfel,

aus Frankfurt einen Würstchen-Zipfel.

Aus Bozen einen Apfelbutzen

und ein Stück Käs aus den Abruzzen.

So nimmt er teil, so steht er gleich

wer immer wem im Deutschen Reich

und außerhalb und überhaupt,

so weit man an dergleichen glaubt.

Der E.P.V.

(Dem 2. Garderegiment zu Fuß)

Der Exerzierplatzvogel singt,

sobald des Trommlers Fell erklingt.

Es nimmt voraus, das kleine Vieh,

des Schwegelpfeifers Tirili –

indem sein Köpflein nicht begreift,

warum derselbe noch nicht pfeift. –

Auf seinem Ast im Himmelblau

sitzt unentwegt der E.P.V.,

sein Lied zu pfeifen stets parat,

ein nie versagender Soldat.

Ukas

Durch Anschlag mach ich euch bekannt:

Heut ist kein Fest im deutschen Land.

Drum sei der Tag für alle Zeit

zum Nichtfest-Feiertag geweiht.

Auf einer Bühne

Auf einer Bühne steht ein Baum,

geholt vom nächsten Wäldchensaum.

Ihn überragt zur rechten Hand

ein Felsenstein aus Leinewand,

indes zur Linken wunderbar

ein Rasen grünt aus Ziegenhaar.

Im Stehparkett der kleine Cohn

zerbirst vor lauter Illusion.

Der kleine Cohn ward zum Gericht

für das, was Kunst ist und was nicht.

Zivilisatorisches

Ein Fisch schrieb jüngst in seinem Blatt:

›lch bin des trocknen Tons nun satt.

Ich will (als einer nur von vielen)

zwei Hände, um Klavier zu spielen.

Tief in der Südsee lebt mit Brillen

ein Molch, der tut uns wohl den Willen.

Er teile das Rezept uns mit.

Bad Westerland, Sylt. E. P. Schmidt.‹

Das Blatt verließ die Druckerei.

Der Hering las es wie der Hai.

Fast jeder bis hinauf zum Wal

empfand den Einfall als Skandal,

ja, mehr als das, in seltner Einheit,

als dekadentische Gemeinheit.

(Alleinzig der Polyp sah jetzt,

wozu er in die Welt gesetzt.

Und schwamm herum, von Sinnen schier,

nach einem scheiternden Klavier.)

Der Molch indes mit spitzen Ohren

hat seine Kundschaft nicht verloren:

Er sandte Schmidten die Broschüre

›Fischhände (später Maniküre)

nur durch Gymnastik in drei Jahren‹.

Da war nun alles zu erfahren.

Man sieht, wie da in Westerland

zum Menschen noch der Fisch entbrannt:

die Wunder der Natur, der wilden,

kulturgemäß hinaufzubilden.

Der Wasseresel

Der Wasseresel taucht empor

und legt sich rücklings auf das Moor.

Und ordnet künstlich sein Gebein,

im Hinblick auf den Mondenschein:

So, daß der Mond ein Ornament

auf seines Bauches Wölbung brennt …

Mit diesem Ornamente naht

er sich der Fingur Wasserstaat.

Und wird von dieser, rings beneidet,

mit einem Doktorhut bekleidet.

Als Lehrer

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