Ungekürztes Werk "Galgenlieder" von Christian Morgenstern (Seite 33)
liest er nun am Pult,
wie man durch Geist, Licht und Geduld
verschönern könne, was sonst nicht
in allem dem Geschmack entspricht.
Er stellt zuletzt mit viel Humor
sich selbst als lehrreich Beispiel vor.
»Einst war ich meiner Dummheit Beute«,–
so spricht er – »und was bin ich heute?
Ein Kunstwerk der Kulturbegierde,
des Waldes Stolz, des Weihers Zierde!
Seht her, ich bring euch in Person
das Kunsthandwerk als Religion.«
Der neue Vokal
Der Festredner:
»Unsterblich werden Sie leben,
solang es Menschenmund
und Menschenwitz wird geben
auf diesem Erdenrund.«
Ein Fähnrich, halblaut zur Gattin des Gefeierten,
Frau Professor Ulich:
»Was hat denn Ihr Herr Gemahl
nun eigentlich ausgeheckt?«
Die Gattin, ebenso:
»Er hat einen neuen Vokal
erfunden oder entdeckt.«
Der Fähnrich:
»Das ist ja phänomenal,
eine wahre Speise für Geister!
Na, Gnädigste, und wie heißt er
denn nun, dieser neue Vokal?«
Die Gattin:
»Er kann ihn noch niemandem sagen,
er läßt ihn erst patentiern;
wir wolln – nach so langen Plagen –
doch nicht ihr Erträgnis verliern!«
Der Fähnrich:
»Verstehe, Sie wollen Tantiemen!«
Die Gattin:
»Gewiß, das ist unser Ziel!
Wer den Vokal will nehmen,
erhält ihn für soundso viel.«
Der Festredner, abschließend:
»Sie gaben uns mehr, Herr Ulich,
als irgend ein Mensch bislang;
wir trollten fromm und betulich
den alten Schlendriangang.
Da kamen Sie, Geist der Geister,
in unser Jammertal
und gaben uns, teurer Meister,
den August-Ulich-Vokal!«
Toilettenkünste
(Fritz Mauthnern)
Das Wort, an sich nicht eben viel,
rüstete sich zum Fastnachtsspiel.
Er setzte sich, das gute Wurm,
Perücken auf als wie ein Turm.
Sie barg die äußerst magern Hüften
in märchenhaften Röckegrüften.
Der Ball war voll Bewundrung toll.
Der König selbst sprach: »Wundervoll!«
Doch morgens krochen – flüchtig Glück! –
zwei Nichtse in ihr Bett zurück.
Vom Stein-Platz zu Charlottenburg
Den Stein-Platz soll ein Elefant
von Gaul, so hör ich, schmücken;
doch manche schelten dies genant
und finden keine Brücken
vom Elefanten bis zu Stein,
von Stein zum Elefanten –
und sagen drum energisch nein
zu dem zuerst Genannten.
Und doch! War Stein kein großes Tier?
Ich denke doch, er war es.
Und gilt der Elefant nicht schier
als Gottheit in Benares? …
Ihr wackern Richter, laßt den Wert
des Werks den Streit entscheiden!
Der Stein, den uns ein Gaul beschert,
wird seinen Stein-Platz kleiden.
Ihr, die man ein Kulturvolk heißt,
wagts doch, Kultur zu haben!
Und dankt dem Bildner Stein im Geist
und nicht nach dem Buch-Staben!
Die Häusertürme von Neu-Berlin
Die Häusertürme von Neu-Berlin
kamen einmal zusammen,
dieweil es ihnen löblich schien,
sich tätig zu entflammen.
Das Auge nämlich hatte sie
beschimpft in einer Zeitung:
sie nennend eine Blasphemie
moderner Hausbereitung.
Dies ließ die stolze Zunft nicht ruhn,
sie fingen an zu toben.
Sie hatten nämlich nichts zu tun
auf ihren Dächern droben.
»Wir stellen dar den neuen Geist!«
mit Fug und Recht sie riefen;
»den Bürgerstolz, der aufwärts weist
aus herrschaftlichen Tiefen.
Das Auge, dieses dumme Tier,
mag auf sich selber schreiben.
Wir sind Wahrzeichen. Wir sind Wir
und werden Wir verbleiben!«
Die Giebel wackelten dazu
mit ihren Dekorationen
und schrien: »Ja, laß uns in Ruh,
sonst werden wir dich nicht schonen!«
Die Obelisken auch sodann,
die dick befransten Säulen,
sie alle drohten wie Ein Mann:
»Wir werden dich schon verbeulen!«
Und aufgebauchten Kröten gleich
hüpften zurück die Türme.
Hanswürste nach wie vor im Reich
der Lenz- und Winterstürme.
Aus der Vorstadt
(Mit Seele vorzutragen)
»Ich bin eine neue Straße
noch ohne Haus, o Graus.
Ich bin eine neue Straße
und sehe komisch aus.
Der Mond blickt aus den Wolken –
ich sage: Nur gemach –
(der Mond blickt aus den Wolken)
die Häuser kommen noch nach!
Ich heiß auch schon seit gestern,
und zwar Neu-Friedrichskron;
und links und rechts die Schwestern,
die heißen alle schon.
Die Herren Aktionäre,
die haben mir schon vertraut:
Es währt nicht lang,