Ungekürztes Werk "Dr. Katzenbergers Badereise" von Jean Paul (Seite 3)

seinem Charakter manchen liebenswürdigen Zug benommen. Was hingegen die Malerei des Ekels anlangt, an der einige keinen besondern Geschmack finden wollten, so ist sie ganz unverändert geblieben.

Denn wo sollte man aufhören wegzulassen? Die Ärzte – und folglich starke Leser derselben, wie ich – schauen im wissenschaftlichen Ätherreich herab und unterscheiden durch ihre Vogelperspektive des Unrats sich ungemein von Hofdamen, die alles zu nahe nehmen. Und zweitens, kommen denn nicht alle die verschiedenen Leser mit allen ihren verschiedenen Antipathien zum Bücherschreiber, so daß er ringsum von Leuten umstanden ist, deren jedem er etwas nicht schildern soll, dem einen nicht das Schneiden in Kork, dem andern nicht Abrauschen auf Atlas oder Glasklirren, dem dritten nicht (z.B. mir selber) das Abbeißen vom Papier – dem vierten vollends am wenigsten etwa Kreuzspinnen, und so fort? – Wenn nun der vierte, wie z.B. der freundliche Tieck im »Phantasus«, mit einem wahren Abscheu gegen die Figur der Kanker dasteht, so muß ihm freilich erbärmlich werden, wenn er dem Katzenberger zusehen soll, wie dieser die Spinnen vor Liebe so leicht verschluckt als ein andrer Fliegen. Und doch könnte der Doktor immer die Seespinne, die Krebse und die Austern und andere tafelfähige Mißgestalten für sich sprechen lassen und überhaupt nebenher die naturhistorische Bemerkung machen, daß die Tiere desto ungestalter ausfallen, je näher am Erdboden sie leben – so die chaotischen Anamorphosen und Kalibane des Meers und die Erdbohrer des Wurmreichs und die kriechende Insektenwelt –, und daß sie hingegen – wie z.B. die letzte als fliegende und das schwebende Vogelreich und die hochaufgerichteten Tiere bis zum erhabenen Menschen hinauf – sich im Freien verschönern und veredeln.

Der Hauptpunkt aber ist wohl dieser, daß das flüchtige Salz des Komischen manche Gegenstände, die wie ketzerische Meinungen im üblen Geruche stehen, so schnell zersetzt und verflüchtigt, daß der Empfindung gar keine Zeit zur Bekanntschaft mit ihnen gelassen wird. Da das Lachen alles in das kalte Reich des Verstandes hinüberspielt: so ist es weit mehr noch als selber die Wissenschaft das große Menstruum (Zersetz- und Niederschlagmittel) aller Empfindungen, sogar der wärmsten; folglich auch der ekeln.

– Freilich etwas ganz anderes wär es gewesen, wenn ich im Punkte des Ekels den zarten Wieland zum Muster genommen hätte und wie er* auf einer Vignette statt unsers Katzenbergers, dem über nichts übel wird, einen Leser hätte aufgestellt, der sich über den Doktor und das Gelesene öffentlich erbricht. Aber zum Glücke ist im ganzen Werke von allen Lesern kein einziger in Kupfer gestochen und kann also die andern auf dem Stuhle seßhaften nicht anstecken.

Baireuth, den 16. Oktbr. 1822

Jean Paul Fr. Richter

Erste Summula

Anstalten zur Badreise

»Ein Gelehrter, der den ersten Juli mit seiner Tochter in seinem Wagen mit eignen Pferden ins Bad Maulbronn abreiset, wünscht einige oder mehre Reisegesellschafter.« – Dieses ließ der verwittibte ausübende Arzt und anatomische Professor Katzenberger ins Wochenblatt setzen. Aber kein Mensch auf der ganzen Universität Pira (im Fürstentume Zäckingen) wollte mit ihm gern ein paar Tage unter einem Kutschenhimmel leben; jeder hatte seine Gründe – und diese bestanden alle darin, daß niemand

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