Ungekürztes Werk "Dr. Katzenbergers Badereise" von Jean Paul (Seite 96)
an den Nordmann mit der Feder zu wenden. Auch der geheizte Kopf des Zollers, schiens ihr, versprach mit allem seinen Reverberier-Feuer nicht viel Licht für den Ausgang der Sache.
Aber sie tat es kühn ab; sie bat die Gesellschaft um einen einzigen Augenblick, um mit ihrem alten Arzte ein Wort zu reden. Man ging leicht, nur Mehlhorn schwer.
Sie leitete wirklich mit einigen Kranken-Fragen ein, ehe sie den Doktor zur Geschichte ihrer Freundin, zu der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft derselben überführte. Zuletzt kam ihr eben aus Wöchnerin-Schwäche ihre Schwäche ganz aus dem Sinn, und sie ließ Herz und Zunge flammen für Theoda. Ihr verschwinde zwar, sagte sie, mit ihr das halbe Glück des Lebens; wenn aber diese dadurch das ganze gewinne, so weine sie gern ihre heißesten Tränen.
Der Doktor bat, ihn mit den nähern Verhältnissen des Mannes in Bekanntschaft zu setzen. Sie erzählte, ihr Mann habe schon vormittags über seine Umstände und über die Wahrheit seiner Versicherungen bei mehr als fünf Studenten aus Theudobachs Nachbarschaft Nachrichten einziehen müssen, aber lauter Bejahungen eingebracht, wie sich denn im ganzen Wesen desselben der Mann von Wort ausweise. Sie nahm so viel Anteil an Theudobachs Reichtum als Katzenberger selber; und es steht einer schönen Seele nicht übel an, für eine fremde dasselbe Irdische zu beherzigen, das sie für sich selber versäumt. »Sie können ja«, setzte sie lächelnd hinzu, »unter einem sehr guten Vorwand selber hinreisen und sich alles mit Augen befühlen; er hat nämlich auf seinem Gute eine Höhle voll Bären- und Gott weiß was für Knochen. Für die Tochter gibt er Ihnen freudig alles, was er von toten Bären hat; es wird schon was zu einem lebendigen übrigbleiben für die Ehe.«
»Ich«, versetzte der Doktor, »bin gewissermaßen dabei, Weibleute kann man nicht früh genug auf jüngere Schultern abladen von alten; wir armen Männer werden, bei allem Gewicht, leicht in ihnen geschmolzen, wie z.B. Bleikugeln in Postpapier ohne dessen Anbrennen. Sie soll ihn vorderhand haben, bedingt.«
Hier war der Umgelder schon von der Türe (er hatte, um sie nicht aufzumachen, davor gehorcht) abgeflogen zum Brautpaar; vierundzwanzig blasende Postillione stellte er vor, um das gewonnene Treffen anzusagen. Vielleicht hätten sie wenig dagegen gehabt, hätte sich der Sieg auch einige Stunden später entschieden. Die Liebenden kamen zurück, und in ihren Augen glänzte neue Zukunft, und auf den Wangen blühte die Gegenwart. Der Umgelder wollte auf einem Umweg durch die Knochenhöhle – als einem tierischen Scherbenberge Roms – der Sache näher kommen und tat dem Hauptmann die Frage, was er für Schönheiten auf seinem Landgute verwahre. Aber dieser wandte sich ohne Antwort und Umweg gerade an den Vater und legte ihm den durchdachten Entschluß seines Herzens zum Besiegeln vor. Katzenberger murmelte, wie verlegen, einige Höflichkeit-Schnörkel, bloß um sich bestimmtes Loben zu ersparen, und äußerte darauf: er sage ein bedingtes Ja und schieße das unbedingte freudig auf dem Gute selber nach, wenn ihm und seiner Tochter der Hauptmann erlaube mitzureisen. »Warum soll ichs nicht sagen?« fuhr er fort, »ich bin ein gerader Mann, mit dem ganzen Herzen auf der kleinen Zunge. Ich wünschte wirklich den unterirdischen Schatz zu sehen, dessen Herr Zoller gedachte, und Sie mögen immerhin dies für einen Vorwand mehr aufnehmen, um meine naturhistorische Unersättlichkeit zu befriedigen.« Ob er nicht eine wahre Verstellung in die scheinbare verbarg und eigentlich gerade dem Reichtum über der Erde unter seinem Vorwand eines tiefern nachschauen wollte, konnte außer der hellen Bona wohl niemand bejahen; sondern eine triumphierende Kirche frommer Liebe, ein Brockengipfel tanzender Zauberfreude wurde das Zimmerchen; und selber Katzenberger stellte in dieser Walpurgisnacht voll Zauberinnen, schöner als sein Urbild (der Teufel), den umtanzten Brocken-Helden dar.
Nachdem er, um die allgemeine Entzückung und die eigne lustiger zu ertragen, den nötigen Wein getrunken: so macht' er sich unversehens in die Flucht vor vier Dankstimmen nach Hause und sagte unterwegs, die Augen gegen den Sternenhimmel gerichtet: »Rechn ich auch nur flüchtig nach, daß ich einen achtfüßigen Hasen – eine sechsfingerige Hand – die goldfingerige eines Schwiegersohns auf einer kurzen Reise gewonnen, wobei ich nicht einmal im Vorbeigehn die Strykische Schreibtatze anschlage, auf die ich geschlagen – und schau ich in die Höhle hinein, wo ich auf ganz andere Höhlenbären als auf die kritischen stoßen soll: so kann ein Mann, der auf einer Reise ums Weltmeer nicht mehr hätte fischen können als ich auf meiner ins Maulbronner Bad, dafür Gott, sollt ich denken, nicht genug danken.«
Werft noch vier Blicke in den kleinen Freudensaal der vom Vater-Ja beglückten Liebe und der beglückten Freundschaft zurück, eh ihr von allen auf immer geht! Solche Abende und Zeiten kommen dem dürftigen Herzen selten wieder; und obgleich die Liebe wie die Sonne, nicht kleiner wird durch langes Wärmen und Leuchten, so werden doch einst die Liebenden noch im Alter zueinander sagen: »Gedenkst du noch, Alter, der schönen Juli-Nacht? Und wie du immer froher wurdest und deine Theoda küßtest? – Und wie du, Theoda (denn beide fallen einander unaufhörlich in die Rede), den guten Zoller herztest? – Und wie wir dann nach Hause gingen und der ganze Himmel funkelte und das Sommer-Rot in Norden ruhte? – Und wie du von mir gingst, aber vorher einen ganzen Himmel in meine Seele küßtest, und ich im Lieberausche leis an meinem Vater vorüberschlich, um den müden nicht zu wecken? – – Und wie alles, alles war, Theoda? Ich bin kahl, und du bist grau, aber niemals wird die Nacht vergessen!« – So werden beide im Alter davon sprechen.