Ungekürztes Werk "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller (Seite 55)

den entgegengesetzten Seiten des Zimmers auf und ab.

MILLER bleibt endlich stehen und betrachtet den Major mit trauriger Miene: Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wann ich Ihnen gestehe, daß ich Sie herzlich bedaure?

FERDINAND: Laß Er es gut sein Miller. Wieder einige Schritte. Miller, ich weiß nur kaum noch, wie ich in Sein Haus kam – Was war die Veranlassung?

MILLER: Wie Herr Major? Sie wollten ja Lektion auf der Flöte bei mir nehmen? Das wissen Sie nicht mehr?

FERDINAND rasch: Ich sah Seine Tochter. Wiederum einige Pausen. Er hat nicht Wort gehalten, Freund. Wir akkordierten Ruhe für meine einsame Stunden. Er betrog mich, und verkaufte mir Skorpionen. Da er Millers Bewegung sieht. Nein! Erschrick nur nicht alter Mann. Gerührt an seinem Hals. Du bist nicht schuldig.

MILLER die Augen wischend: Das weiß der allwissende Gott!

FERDINAND aufs neue hin und her, in düstres Grübeln versunken: Seltsam o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns. An dünnen unmerkbaren Seilen hängen oft fürchterliche Gewichte – Wüßte der Mensch, daß er an diesem Apfel den Tod essen sollte – Hum! – wüßte er das? Heftiger auf und nieder, dann Millers Hand mit starker Bewegung fassend. Mann! ich bezahle dir dein bißchen Flöte zu teuer – – und du gewinnst nicht einmal – auch du verlierst – verlierst vielleicht alles. Gepreßt von ihm weggehend. Unglückseliges Flötenspiel, das mir nie hätte einfallen sollen.

MILLER sucht seine Rührung zu verbergen: Die Limonade bleibt auch gar zu lang außen. Ich denke, ich sehe nach, wenn Sie mir's nicht für übel nehmen –

FERDINAND: Es eilt nicht lieber Miller Vor sich hin murmelnd: zumal für den Vater nicht – Bleib Er nur – Was hatt ich doch fragen wollen? – Ja! – Ist Luise Seine einzige Tochter? Sonst hat Er keine Kinder mehr?

MILLER warm: Habe sonst keins mehr Baron – wünsch mir auch keins mehr. Das Mädel ist just so recht, mein ganzes Vaterherz einzustecken – hab meine ganze Barschaft von Liebe an der Tochter schon zugesetzt.

FERDINAND heftig erschüttert: Ha! – – Seh Er doch lieber nach dem Trank, guter Miller.

Miller geht ab.

Vierte Szene

Ferdinand allein.

Das einzige Kind! – Fühlst du das, Mörder? Das einzige! Mörder! hörst du, das einzige? – Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes nichts, als sein Instrument und das einzige – Du willst's ihm rauben?

Rauben? – Rauben den letzten Notpfennig einem Bettler? Die Krücke zerbrochen vor die Füße werfen dem Lahmen? Wie? Hab ich auch Brust für das? – – Und wenn er nun heimeilt, und nicht erwarten kann, die ganze Summe seiner Freuden vom Gesicht dieser Tochter herunterzuzählen, und hereintritt, und sie daliegt die Blume – welk – tot – zertreten, mutwillig die letzte, einzige, unüberschwengliche Hoffnung – Ha! und er dasteht vor ihr, und dasteht, und ihm die ganze Natur den lebendigen Odem anhält, und sein erstarrter Blick die entvölkerte Unendlichkeit fruchtlos durchwandert, Gott sucht, und Gott nicht mehr finden kann, und leerer zurückkommt – – Gott! Gott! aber auch mein Vater hat diesen einzigen Sohn – den einzigen Sohn doch nicht

Seiten