Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 123)
Schuppens, dann und wann schlug von draußen aus der Luft ein verwehter Vogelschrei herein; es litt sie nicht mehr auf ihrem Holzstuhle. Sie war wieder hinausgegangen, ja sie hatte ebenfalls ihr Schuhzeug abgetan, um zum Floß hinüber zu waten, und stand jetzt dort, mit ihrer harten Hand bald an diese, bald an jene Badezelle pochend. »Frölen, ach, liebes Frölen, so antworten Sie mir doch!«
Aber es kam keine Antwort; nicht einmal ein Plätschern ließ sich drinnen hören; nur das Rauschen und Klatschen der Wellen zog eintönig, unablässig ihrem Ohr vorüber.
Als sie ratlos nach dem Lande zurückblickte, sah sie einen Mann auf ihren Schuppen zulaufen, und gleich darauf hörte sie ihn rufen. – »Frau Kathi! Frau Kathi Wulff!« rief er durch den Wind hindurch.
»Hier! Um Gottes willen, hier!« – Und eilig watete die Alte über den schaukelnden Steg ans Land zurück. »O, mein Gott, Herr Baron, Sie sind es. Ach, das Kind, das Kind.«
Er faßte sie, ohne etwas zu sagen, an den Armen, drehte sie mit einem kräftigen Ruck herum und wies mit der Hand auf die offene Wasserfläche hinaus.
»Ist das der andere Herr? Sucht er das Kind?«
Der junge Mann nickte.
»Allbarmherziger Gott! Man soll nicht räsonieren! Ich räsonierte, Herr Baron, als ich vorhin Sie beide da auf dem Deich herauskommen sah! Man soll nicht räsonieren; nein, niemals, niemals!«
Der Baron antwortete nicht; er sah mit gespannten Augen auf die Flut hinaus. Ein paar Augenblicke noch – weit von draußen her ließ sich der dumpfe Donner der offenen See vernehmen – und er packte wieder den Arm der Alten: »Jetzt, Frau Kathi, da sehn Sie hin! Nun sucht er sie nicht mehr; er trägt sie schon in seinen Armen.«
Die Alte stieß einen lauten Schrei aus.
Da tauchte die Gestalt des Schwimmers mit der breiten Brust aus den schäumenden Wogen auf, und bald darauf sah man ihn langsam, aber sicher an dem abschüssigen Ufer emporsteigen. In seinen Armen, an seiner Brust ruhte ein junger Körper, gleich weit entfernt von der Fülle des Weibes wie von der Hagerkeit des Kindes; ein Bild der Psyche, wenn es jemals eins gegeben hatte. Aber der kleine Kopf war zurückgesunken; leblos hing der eine Arm herab. – Aus der Mittagshöhe des Himmels fiel der volle Sonnenschein auf die beiden schimmernden Gestalten.
»Wie in den Tagen der Götter!« murmelte der junge Mann, der atemlos diesem Vorgange zugesehen hatte. – »Aber jetzt, Frau Kathi, an den Strand hinab! Nehmen Sie das Kind in Empfang; ich laufe zur Stadt und bringe einen Arzt; er könnte nötig sein!«
Noch eine kurze, eindringliche Anweisung über die zunächst von der Alten vorzunehmenden Dinge, dann eilte er fort; nicht einmal den Namen des Mädchens hatte er erfahren.
Einige Minuten später lag drinnen im Schuppen die zarte Gestalt in ihrer ganzen Hülflosigkeit auf dem Ruhebette, bis zur Brust von dem roten Umschlagetuch der Alten zugedeckt. Zitternd, ihr lautes Schluchzen gewaltsam niederkämpfend, stand diese vor ihr; sie hatte eben ein Leintuch genommen und schickte sich an, mit dem jungen Körper alles vorzunehmen, was ihr von dem einen wie dann auch von dem anderen