Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 125)

Sie auf dem Deich gegangen kamen, war er mit dem anderen drüben auf dem Floß. Nachher war es zu weit entfernt; auch ist er gleich zur Stadt zurückgegangen.«

Das Mädchen nickte und legte sich, wie um auszuruhen, auf das harte Kissen der Ruhebank zurück, die Hände hinten um den Kopf gefaltet.

Die Alte war aufgestanden. »Ich komme gleich zurück«, sagte sie; »ich geh nur, um dem anderen Herrn zu sagen, daß das Frölen munter ist, und daß wir keinen Doktor brauchen.«

»Aber vergiß nicht, Kathi!«

»Nicht doch, Frölen; ich hab es ja geschworen.«

– – Als die Alte nach einiger Zeit zurückkam, fand sie ihren jungen Gast schon völlig angekleidet, eben damit beschäftigt, ein weißes Schnupftuch sich um den Kopf zu knoten. Aber die gute Alte ließ sie so nicht fort; der Kaffee war ja noch heiß, und das Kind, da es so fror, ließ sich eine Tasse schon gefallen. »Und nun«, sagte die Alte, »wenn Frölen warten wollen, können wir gleich zusammen gehen.«

Aber das Frölen wollte nicht auf dem geraden Weg nach der Stadt zurück; das Frölen wollte den weiten Umweg durch den Kog machen. Die Alte meinte zwar: »Um Gottes willen, Kind, wenn Sie so bange sind vor dem jungen Herrn, – er wird gleich von dem Floß herauskommen; wir warten nur ein Weilchen, dann ist er lange vor uns schon zur Stadt!«

Aber das Frölen wollte doch nicht.

»Nun«, sagte die Alte, »so geh ich mit Ihnen; bei mir zu Haus wartet keiner als mein Hinz, und der wartet auch nicht, der schläft unterm Kachelofen; – Sie können da nicht allein gehen, über all die Stege und durch all das Viehzeug hindurch.«

Aber das Frölen wollte auch das nicht; sie wollte eben ganz allein gehen. »Kathi, alte Kathi!« sagte sie und streichelte mit ihrer kleinen Hand die runzeligen Wangen der alten Frau; »die Küh' und Ochsen tun mir nichts. Siehst du, ich bin ja ganz in Weiß; kein Läppchen Rot an mir!« Und sie schlug mit beiden Händen das luftige Sommerkleid zurück. »Da ist ja festes Land; ich laufe rasch hindurch; dann schlüpf' ich hinten in unseren Garten, und – siehst du, niemand hat mich gesehen als du, alte Kathi; und du – du hast geschworen!«

Die Alte schüttelte den Kopf. Aber schon war sie zur Tür hinaus, und wie ein scheuer Vogel flog sie die Grasdecke des Deiches hinan und ebenso an der Binnenseite wieder hinunter. Einen Augenblick stand sie still, als sei sie hier geborgen; aber der alte Mutwille, der der Alten gegenüber noch eben auf ihrem Antlitz gespielt hatte, war ganz verschwunden. Als das sinnende Köpfchen sich von der Brust emporhob, blickten die großen Augen fast mehr als ernst über die grüne Marschniederung, die sich unabsehbar ihr zur Seite dehnte. Es war nicht viel zu sehen dort; zwischen den blinkenden Wassergräben, die auf eine Strecke hinaus ihrem Auge sichtbar blieben, ragte nichts aus der ungeheuren Fläche als die zerstreut auf ihr weidenden Rinder und die niedrigen Heckpforten, welche von einer Fenne zu der anderen führten; sie kannte das alles, sie hatte es oft

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