Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 127)
inneren Friesen des Parthenon; aber alles warf noch tiefe Schatten, nur einem Flöte spielenden Faun waren von dem jungen Licht des Morgens die Wangen rosig angehaucht. In der Ecke rechts vom Eingange ragte, aus dunklem Ton geformt, die übermenschliche Gestalt einer nordischen Walküre aus der dort noch herrschenden Dämmerung hervor; aber nur der obere Teil mit dem einen Arm, den sie dräuend in die Luft erhob, war vollendet; nach unten zu war noch die ungestalte Masse des Tons, als wäre die Gestalt aus rauhem Fels emporgewachsen. Es mochte die furchtbare Brunhilde selber sein, die hier finsteren Auges auf die heiteren Griechenbilder herabsah.
– – Von draußen drehte sich ein Schlüssel in der Eingangstür. Der Künstler selbst war es, der jetzt in seine Werkstatt trat, ein schlanker, jugendlicher Mann mit grauen, hellblickenden Augen und dunklem Lockenkopf. Doch weder fremde noch eigene Gebilde schienen heute seinen Blick zu reizen; achtlos ging er an ihnen vorüber und griff wie mit sehnsüchtiger Hast nach einem offenen Briefe, der auf der Scheibe eines Modellierbockes lag; dann warf er sich in einen daneben stehenden Sessel und begann zu lesen. Aber nur an einer bestimmten Stelle des Briefes, die er gestern schon mehr als einmal gelesen hatte, hafteten seine Augen.
»Du traust es mir wohl zu, Franz« – so las er heute wieder – »daß ich unseren beschworenen Vertrag gehalten habe. Weder einem profanen noch einem heiligen Ohre habe ich deine Tat verraten; gewissenhaft habe ich jede Begierde zur Nachforschung über Person und Namen deiner Geretteten in mir ertötet; ja selbst als eines Tages das Geheimnis mir so nahe schien, daß ich nur einen Gartenzaun auseinander zu biegen brauchte, bin ich, wenn auch zögernd, mit catonischer Strenge vorübergegangen. – Auch auf der anderen Seite ist alles stumm geblieben, und selbst unserer alten Badehexe muß durch irgendwelche Zauberkraft der Mund wie mit sieben Siegeln verschlossen sein. – Und dennoch, ohne mein Zutun beginnt der Schleier sich vor mir zu heben.
Es gibt eine sehr junge Dame in unserer Stadt, kühn wie ein Knabe und zart wie ein Schmetterling. Obgleich sie erst mit den letzten Veilchen aus der Schulstube ans Tageslicht gekommen ist, so mag doch schon so mancher junge Gesell in schwüler Sommernacht davon geträumt haben, sie winters im geschlossenen Ballsaal an den Flügeln zu haschen; und ich will ehrlich sein – und zürne mir nicht – zu diesen kühnen Träumern habe auch ich gehört. Die alte Bürgermeisterin – mir ist das zufällig zu Ohren gekommen – die eine Art von Götzendienst mit diesem Kinde treibt, hatte mit vorausberechnender Kunst eine weiße Kamelie für sie gezogen, und das Glück war diesmal günstig gewesen, eben am Tage vor dem Balle war sie aufgeblüht. – Aber weder die Kamelie noch das blonde Götterkind selbst erschienen bei dem Feste; keine silbernen Füßchen berührten den Boden, nur die Alltagsmenschenkinder mit erhitzten Gesichtern flogen, keines Künstlerauges würdig, durcheinander.
Und so ist es fortgegangen. Auch auf dem gestrigen Balle blieb alles dunkel; nichts als der gewöhnliche Erdenstaub. – Nur in den vertrautesten Kreisen, zu denen ich leider nicht