Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 214)

und die Wintersaaten gewalzt wurden, mit seinem Buben in das Herrenhaus dort eingezogen. Eine ältliche Verwandte der Verstorbenen, das Klosterfräulein Heide von der Wisch, ist mit dahin gegangen, um, wie sie sagte, bis die Blütezeit vorüber, être la mère à ce pauvre enfant; sie ist aber dort hängengeblieben und nach dem Kloster nicht zurückgekommen, obwohl der Knabe nie nach ihrer Hand gegriffen hat.

Oben im Hause sind die ungeschlachten Möbeln nach dem Boden hinauf oder in die Gesinderäume hinabgeschafft worden; im Wohngemache standen nun geschweifte Schränke und Chiffonnièren, und auch ein Kanapee mit farbig gemustertem Bezuge, worüber neben dem vorgefundenen Bild der Urgroßmutter auch das der Mutter des Besitzers hing. Es pflegt so zu geschehen: das schönste, das Bild der Großmutter, fehlte zwischen beiden; sie war gekommen und gegangen, und keiner wußte noch von ihr.

Im wesentlichen wurde es auf dem abgelegenen Hofe nicht gar anders, als es im vorigen Jahrhunderte gewesen war. Denn Deutschland erhob sich eben erst aus wüsten Träumen. Die neue Koppelwirtschaft wurde freilich eingeführt; aber der Oberst war ein Melancholikus und litt an den Übelständen einer alten Wunde; überdies war er weder ein Landwirt noch ein Jäger, und beides war hier groß vonnöten. Für letzteren gab sich zwar ein hungriger Verwandter der alten Herrschaft, der nach Jahr und Tag sich zum Besuche eingefunden hatte und gleichfalls nicht wieder fortgegangen war; aber es hatte nichts Sonderliches zu bedeuten. Nur einmal, an einem Winterabend, war hinter dem Turmhaus ein Rehbock von ihm geschossen worden; allein zur Küche war er nicht gekommen, denn mit selbigem, daß das Tier zusammengebrochen, hatte ein dürrbeiniger Wolf sich darauf zugestürzt und es an der Kehle mühsam fortgeschleift; der Vetter aber war mit erhobenen Händen durch die Heidemulde nach dem Hofe zugerannt. »Hol der Teufel Eure Wölfe hier! Das ist nicht in der Ordnung!« hatte er im Hausflur dem Oberst zugerufen; der aber hatte nur gelächelt: »Freilich nicht, Vetter; jedoch ich meinte, das sei Ihre Sache.«

»Ei, das versteht sich, Oberst! Aber die Hunde! Ich soll nur erst die rechten Hunde haben.«

»Aber ich denk, Ihr habet ja den ganzen Stall schon voll davon.«

»Nun, nun; gehet nur hinauf und kramet die Karten vor; ich will mir nur den nassen Rock vom Leibe ziehen; dann wollen wir die vier Könige jagen!«

Und bald saßen sie sich gegenüber bei ihrem Piquet; und der Oberst war damit zufrieden.

– – Als der Junker Rolf im siebenten Jahre war, lehrte der Vetter ihn lesen und nach Adam Riese rechnen; das konnte er, sogar auch mensa und amo deklinieren und konjugieren. Der Knabe lernte leicht und rief mitunter: »Ich kann's doch besser noch als du!« Dann freute sich der Vetter und lief zu dem Vater: »He, Oberst, höret, was Euer Philosophus da redet!« und den Jungen, wenn er hintennach gelaufen war, bei den Ohren in die Höhe hebend, rief er: »Ich hab's dich doch gelehret, Tausendsakramenter!«

Des Knaben Freundin war eine alte Magd, die schon die Mutter als kleines Kind getragen hatte, die von hier zur Stadt und wieder von dort hieher zurückgebracht war. »Ich will

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