Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 215)
Matten fragen!« rief der Bube, wenn er selbst nicht wußte, was er wollte. Sie hatte ihr Augenlicht fast ganz verloren und saß meist unten in der großen Gesindestube oder am Herde in der Küche, beschaffend, was einem blinden Menschen möglich war; und wenn er sie gefunden hatte und auf sie losstürmend sie an der Schürze riß, dann sagte sie wohl: »Kind, Kind, gib Ruh; was willst du denn? Bei Gott ist Rat und Tat!« und sah mit ihren toten in seine lebendigen, blauen Augen. Und frug sie weiter: »Sprich, was willst du, Rolfchen?« dann sprach er wohl ganz kleinlaut: »Weiß nicht, Matten; – erzähl mir was!« Und sie legte das Messer, oder was sonst ihre Finger hielten, fort und frug: »Was denn erzählen, Kind?« Er war auf ihren Schoß gekrochen und rief: »Von Owe Heikens, wie du zu viel Holz gebrochen hattest! Nein« – und er flüsterte ihr ins Ohr: »Erzähl mir von der schönen Frau, da auf dem Meierhof; wie hieß sie doch?« – »Kind, Kind, das war ja deine Großmutter!« – Der Knabe sah ihr lange ins Gesicht: »Großmutter?« sagte er langsam. »War sie denn schon alt?« – »Alt?« und Matten wiegte ihren grauen Kopf. »So jung wie Maililien! Wenn der Tod kommt, bleiben auch die Großmütter jung. Sei still und halt's für dich, so will ich dir erzählen!«
In einem aber war der Vater selbst des Buben Lehrmeister; er kaufte ihm erst einen, und als er größer wurde einen zweiten von den kleinen türkischen Kleppern und ließ draußen an der Ostseite eine Reitbahn richten; und die Peitsche des Obersten klatschte, und der Junge lag bald auf dem Rappen, bald auf dem braunen Klepper.
Plötzlich aber wurde es anders zu Grieshuus. Der Oberst, da an dessen Geburtstage der Junker mit einem unter des Vetters Anweisung gefertigten Glückwünschungsbriefe vor den herzallerliebsten Papa getreten war, hatte danach nichts Eiligeres zu tun, als durch seinen pastor loci einen Informator zu besorgen. Dadurch ist der Magister Caspar Bokenfeld auf den Hof gekommen und mit ihm ein Mann, dem ich von nun an die Erzählung in eigenem Namen überlassen kann.
Während der ersten Herbstvakanz in meiner Studentenzeit war ich daheim und wurde bei einem Besuche der Stelle von Grieshuus durch ein heftig Wetter in das Haus des Küsters in dem nahen Dorfe eingetrieben. Er war ein schon bejahrter Mann, den ich bisher nicht kannte; wir saßen uns bald am Fenster gegenüber, und ich sah auf die Ostseite der alten Felsenkirche, an welcher noch die schweren Eisenringe hingen, so daß ich ohne Umstand das Gespräch auf jene alten Dinge bringen konnte. Er hatte mir ruhig zugehört; als ich jedoch bekannte, daß mir die dortigen Ereignisse des achtzehnten Jahrhunderts minder klar geworden seien als die des vorigen, stand er auf und ging nebenan in eine Kammer, aus der ich das Auf- und Zuschließen eines Schrankes oder einer Lade zu vernehmen glaubte. Als er zurückkam, legte er ein vergilbtes Schriftstück in den mir hinlänglich bekannten Zügen des letzten Jahrhunderts vor mir hin.
»Klar ist das auch nicht«, sagte er; »aber