Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 217)
oftmals, so man nächtens vorüberschreite, solle von dort aus ein Rahmschöpfen und Umgießen deutlich hörbar werden, was in Wirklichkeit nicht sei; aber das sind nugae; es ist allzeit ruhig gewesen, wenn ich gegenüber meine enge Treppe aufgestiegen bin. Aber drinnen in meiner Kammer war es gar einsam, wenn die Nachtruhe über den Hof gekommen war und ich noch über meinen Büchern saß. Wenn dann der Mond am Himmel stand und ich von der Arbeit zu dem einzigen Fenster trat, dann sah ich ein tiefes Heidefeld, das zwischen zwei hohen Waldseiten auslief; und mitunter drang ein seltsam Heulen aus der Ferne, von dorten, wo ich bei Tage ein altes Thurmhaus hatte stehen sehen; da ich es zum ersten Male hörte, schritt ich zur Thür und schob den Riegel vor; dann löschte ich das Licht und legte mich schlafen. Das Heulen, das noch länger durch die Nacht scholl, ist aber von den hungerigen Wölfen kommen, deren derzeit im Übermaße hier gewesen; und ich hab noch lang gelegen und gehorchet; mir war, als könnten sie durch die offene Thorfahrt kommen und mit den Tatzen meine Thür anfallen.
Als ich am Morgen dem Junker Rolf davon erzählte, sprach er: »Da in der Heide müssen Sie itzt nimmer gehen, Herr Magister; ich bin zu Pferde dort gewesen und doch fast vom Leben abgekommen!«
Und auf meine Bitte hat er es also mir erzählet: Eine grimmige Kälte ist es dazumal gewesen, am Nachmittage vor dem letzten Heiligabend, zwei Wochen nur vor meiner Herkunft, und wie bleicher Messingglanz hat die Dezembersonne über die Heide hingeglinstert. Droben in dem großen Saale hat die Tante Heide herumgehamstert, ganz mutterseelenallein, und hat niemand hinein dürfen, weder vom Gesinde noch auch der Junker Rolf, wohl selber kaum der Oberst; denn für alle ist da drinnen die Weihnachtsbescherung aufgebauet worden; der Vetter nur ist eigenwillig aus und ein gehuschet, denn er hat's gar besser noch verstanden als die Tante. Junker Rolf aber ist vor Ungeduld treppauf und –ab gesprungen, auch auf den Hof und in die Ställe eingelaufen und zuletzt dann in des Oberst Zimmer, wo dieser mit dem Verwalter vor der Gutsrechnung gesessen: »Was soll ich anfangen, Papa? Um fünf Uhr erst will Tante Heide schellen!«
»So geh zu deiner Freundin, der alten Matten!«
»Mag ich heut nicht, Papa.«
»So reit noch eine Stunde!« hat der Oberst ihm gesagt und kaum von seinen Büchern aufgesehen; »und nimm den Braunen an die Leine!«
Drauf ist der Junker in den Stall gegangen, wo die beiden Klepper an der Krippe standen, und hat dem Knecht gerufen, daß er ihm den Rappen sattle und ihm den Braunen an die Hand gebe.
»Hopp, Stella! Fera, hallo!« Und so ist er in den bleichen Winterschein auf die Heide hinausgeritten; die Mulde hinunter und weiter, immerzu über den hartgefrorenen Boden. »Hussa!« Und er hat seine kleine Kappe mit der braunen Geierfeder vor Lust geschwenket, und die kleinen, feuerigen Rosse haben getanzt, als wüßten auch sie, daß heut noch Weihnacht-Heiligabend sei.
Plötzlich ist die Sonne weg gewesen. Noch kurze Weile hat das schwarze Heidekraut geleuchtet; dann hat