Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 224)
Redens war der Wildmeister, der etwas zu melden haben mochte, in das Gemach getreten und, seiner Zeit gewärtig, an der Thür gestanden. Aber schon vorher hatte sich, was wohl um solche Zeit geduldet wurde, ein Schwester-Enkelkind der alten Matten, ein braunes, zehnjähriges Dirnlein, in ihrem Sonntagsstaat hereingeschlichen. Wie mit Aug und Ohren horchend, war sie zu Anfang still gestanden, dann aber, ein Fingerlein an den Lippen, immer näher zu dem jungen Herrn hingeschlichen. Als aber dieser seine Rede kaum geschlossen hatte, wies sie mit ausgestreckter Hand auf einen Spiegel gegenüber, woraus des Knaben Bildniß mit seinem Goldgeringel widerschien. »Guck!« raunte sie ihm zu, »da ist er!« und zupfte ihn an seinem Ärmel.
Aber der Knabe wollte sich nicht stören lassen. »Wer denn? Was willst du, Abel?«
Da streckte die Dirne sich zu ihm auf: »König Enzio!« rief sie laut und rannte mit purpurrothem Angesicht zur Thür hinaus.
Der Oberst lachte; der alte Wildmeister aber war rasch ein paar Schritte vorgetreten, und die Hand nach dem Haupt des Knaben streckend, rief er hastig: »Gott nehme ihn in seinen Schutz!«
Der Oberst wandte sich in seinem Stuhle: »Das thue er in seiner Gnade!« sprach er; »aber was hat Er, Wildmeister?«
Da sprach der andre schier verwirrt: »Verzeihet; das Ringelhaar des Hohenstaufen soll in Kerkersnacht gebleichet sein.«
»Er ist kein Kaiserssohn«, sagte der Oberst, »solches wird meinem Buben nicht geschehen«, und blickte liebevoll auf seinen Sohn. Aber viel heißer noch lagen des Alten Augen auf des Knaben Antlitz. Dann richtete er sich auf: »Wenn es beliebte, Herr Oberst? Der Wolf ist unten auf dem Hofe, den meine Hunde heut nacht niederlegten!«
Da faßte unser Herr des Knaben Hand und ging mit dem Alten nach dem Hof hinab; ich und der Pastor folgeten. Auf der Treppe aber hielt dieser, der seine klugen Augen fleißig zwischen den Personen hatte hin und wider gehen lassen, mich am Arm zurück und raunte: »Was meinest du, Magister? Ich möcht wohl wissen, wie selbiger, den sie hier den Wildmeister heißen, in seinen jungen Tagen ausgesehen hat!«
Aber vom Hofe aus rief der Oberst durch die offene Hausthür: »Wo bleibt die Geistlichkeit? Erlegter Feind ist ja auch ihr gar liebe Augenweide!«
Da schritten wir eilig hinab und sahen das erlegte Thier auf einem Schlitten liegen, denn es war Schnee gefallen in der Nacht.
Das Raubzeug minderte sich merklich, und immer seltener kam ein Schäfer mit Geschrei zum Hof hinaufgelaufen; und doch hatte der Wildmeister nur einen Mann zur ständigen Hülfe sich erbeten, der hieß Hans Christoph: er war mit ihm von fast demselben Alter und wohnte ehelos im Dorfe unten. Zur Nacht aber war der Wildmeister allzeit allein in seinem Thurmhaus, so nicht ein Sonderbares sollte unternommen werden; denn unterweilen, zumal im Winter, hörete ich auch um solche Zeit von mehr als einer Büchse das Krachen aus dem Walde, und war dann morgens meist ein Wolf zu Hof gebracht.
– – So waren ein paar Jahre hingegangen; der Junker war frisch hinaufgewachsen und wohl vierzehnjährig schon; dabei war er klug und hatte mich fast ausgelernet. Zu dem Wildmeister, der auch bei