Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 45)
Knecht.
›Ja, Iven, was ist damit? Es ist gar nicht mehr da; weder tages noch bei Mondschein; wohl zwanzigmal bin ich auf den Deich hinausgelaufen!‹
›Die alten Knochen sind wohl zusammengepoltert?‹ sagte Iven und rauchte ruhig weiter.
›Aber ich war auch bei Mondschein draußen; es geht auch drüben nichts auf Jeverssand!‹
›Ja‹, sagte der Knecht, ›sind die Knochen auseinandergefallen, so wird's wohl nicht mehr aufstehen können!‹
›Mach keinen Spaß, Iven! Ich weiß jetzt; ich kann dir sagen, wo es ist!‹
Der Knecht drehte sich jäh zu ihm: ›Nun, wo ist es denn?‹
›Wo?‹ wiederholte der Junge nachdrücklich. ›Es steht in unsrem Stall; da steht's, seit es nicht mehr auf der Hallig ist. Es ist auch nicht umsonst, daß der Wirt es allzeit selber füttert; ich weiß Bescheid, Iven!‹
Der Knecht paffte eine Weile heftig in die Nacht hinaus.
›Du bist nicht klug, Carsten‹, sagte er dann; ›unser Schimmel? Wenn je ein Pferd ein lebigs war, so ist es der! Wie kann so ein Allerweltsjunge wie du in solch Altem-Weiberglauben sitzen!‹
– – Aber der Junge war nicht zu bekehren: wenn der Teufel in dem Schimmel steckte, warum sollte er dann nicht lebendig sein? Im Gegenteil, um desto schlimmer! – Er fuhr jedesmal erschreckt zusammen, wenn er gegen Abend den Stall betrat, in dem auch sommers das Tier mitunter eingestellt wurde, und es dann den feurigen Kopf so jäh nach ihm herumwarf. ›Hol's der Teufel!‹ brummte er dann; ›wir bleiben auch nicht lange mehr zusammen!‹
So tat er sich denn heimlich nach einem neuen Dienste um, kündigte und trat um Allerheiligen als Knecht bei Ole Peters ein. Hier fand er andächtige Zuhörer für seine Geschichte von dem Teufelspferd des Deichgrafen; die dicke Frau Vollina und deren geistesstumpfer Vater, der frühere Deichgevollmächtigte Jeß Harders, hörten in behaglichem Gruseln zu und erzählten sie später allen, die gegen den Deichgrafen einen Groll im Herzen oder die an derart Dingen ihr Gefallen hatten.
Inzwischen war schon Ende März durch die Oberdeichgrafschaft der Befehl zur neuen Eindeichung eingetroffen. Hauke berief zunächst die Deichgevollmächtigten zusammen, und im Kruge oben bei der Kirche waren eines Tages alle erschienen und hörten zu, wie er ihnen die Hauptpunkte aus den bisher erwachsenen Schriftstücken vorlas: aus seinem Antrage, aus dem Bericht des Oberdeichgrafen, zuletzt den schließlichen Bescheid, worin vor allem auch die Annahme des von ihm vorgeschlagenen Profiles enthalten war, und der neue Deich nicht steil wie früher, sondern allmählich verlaufend nach der Seeseite abfallen sollte; aber mit heiteren oder auch nur zufriedenen Gesichtern hörten sie nicht.
›Ja, ja‹, sagte ein alter Gevollmächtigter, ›da haben wir nun die Bescherung, und Proteste werden nicht helfen, da der Oberdeichgraf unserem Deichgrafen den Daumen hält!‹
›Hast wohl recht, Detlev Wiens‹, setzte ein zweiter hinzu; ›die Frühlingsarbeit steht vor der Tür, und nun soll auch ein millionenlanger Deich gemacht werden – da muß ja alles liegen bleiben.‹
›Das könnt ihr dies Jahr noch zu Ende bringen‹, sagte Hauke; ›so rasch wird der Stecken nicht vom Zaun gebrochen!‹
›Das wollten wenige zugeben. ›Aber dein Profil!‹ sprach ein dritter, was Neues auf die Bahn bringend; ›der Deich wird ja auch an der Außenseite