Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 60)

selben Stengel festgehalten wurde, dann flog wohl ein zärtlicher Blick auf ihr Kind; hatten sie sich gewandt, so blieb nur noch ein Schmerz auf ihrem Antlitz, den jedes einsam mit sich von dannen trug, denn das erlösende Wort war zwischen ihnen noch nicht gesprochen worden. Da eines Sommervormittages, als Wienke mit der Alten und den beiden Tieren auf den großen Steinen vor der Scheuntür saß, gingen ihre beiden Eltern, der Deichgraf seinen Schimmel hinter sich, die Zügel über dem Arme, hier vorüber; er wollte auf den Deich hinaus und hatte das Pferd sich selber von der Fenne heraufgeholt; sein Weib hatte auf der Werfte sich an seinen Arm gehängt. Die Sonne schien warm hernieder, es war fast schwül, und mitunter kam ein Windstoß aus Südsüdost. Dem Kinde mochte es auf dem Platze unbehaglich werden: ›Wienke will mit!‹ rief sie, schüttelte die Möve von ihrem Schoß und griff nach der Hand ihres Vaters.

›So komm!‹ sagte dieser.

– Frau Elke aber rief: ›In dem Wind? Sie fliegt dir weg!‹

›Ich halt sie schon; und heut haben wir warme Luft und lustig Wasser, da kann sie's tanzen sehen.‹

Und Elke lief ins Haus und holte noch ein Tüchlein und ein Käppchen für ihr Kind. ›Aber es gibt ein Wetter‹, sagte sie; ›macht, daß ihr fortkommt, und seid bald wieder hier!‹

Hauke lachte: ›Das soll uns nicht zu fassen kriegen!‹ und hob das Kind zu sich auf den Sattel. Frau Elke blieb noch eine Weile auf der Werfte und sah, mit der Hand ihre Augen beschattend, die beiden auf den Weg und nach dem Deich hinübertraben; Trin Jans saß auf dem Stein und murmelte Unverständliches mit ihren welken Lippen.

Das Kind lag regungslos im Arm des Vaters; es war, als atme es beklommen unter dem Druck der Gewitterluft; er neigte den Kopf zu ihr: ›Nun, Wienke?‹ frug er.

Das Kind sah ihn eine Weile an: ›Vater‹, sagte es, ›du kannst das doch! Kannst du nicht alles?‹

›Was soll ich können, Wienke?‹

Aber sie schwieg; sie schien die eigene Frage nicht verstanden zu haben.

Es war Hochflut; als sie auf den Deich hinaufkamen, schlug der Widerschein der Sonne von dem weiten Wasser ihr in die Augen, ein Wirbelwind trieb die Wellen strudelnd in die Höhe, und neue kamen heran und schlugen klatschend gegen den Strand; da klammerte sie ihre Händchen angstvoll um die Faust ihres Vaters, die den Zügel führte, daß der Schimmel mit einem Satz zur Seite fuhr. Die blaßblauen Augen sahen in wirrem Schreck zu Hauke auf: ›Das Wasser, Vater! das Wasser!‹ rief sie.

Aber er löste sich sanft und sagte: ›Still, Kind, du bist bei deinem Vater; das Wasser tut dir nichts!‹

Sie strich sich das fahlblonde Haar aus der Stirn und wagte es wieder, auf die See hinauszusehen. ›Es tut mir nichts‹, sagte sie zitternd; ›nein, sag, daß es uns nichts tun soll; du kannst das, und dann tut es uns auch nichts!‹

›Nicht ich kann das, Kind‹, entgegnete Hauke ernst; ›aber der Deich, auf dem wir reiten, der schützt uns, und den hat dein Vater ausgedacht und bauen lassen.‹

Ihre Augen gingen wider

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