Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 61)
ihn, als ob sie das nicht ganz verstünde; dann barg sie ihr auffallend kleines Köpfchen in dem weiten Rocke ihres Vaters.
›Warum versteckst du dich, Wienke?‹ raunte der ihr zu; ›ist dir noch immer bange?‹ Und ein zitterndes Stimmchen kam aus den Falten des Rockes: ›Wienke will lieber nicht sehen; aber du kannst doch alles, Vater?‹
Ein ferner Donner rollte gegen den Wind herauf. ›Hoho!‹ rief Hauke, ›da kommt es!‹ und wandte sein Pferd zur Rückkehr. ›Nun wollen wir heim zur Mutter!‹
Das Kind tat einen tiefen Atemzug; aber erst, als sie die Werfte und das Haus erreicht hatten, hob es das Köpfchen von seines Vaters Brust. Als dann Frau Elke ihr im Zimmer das Tüchelchen und die Kapuze abgenommen hatte, blieb sie wie ein kleiner, stummer Kegel vor der Mutter stehen. ›Nun, Wienke‹, sagte diese und schüttelte sie leise, ›magst du das große Wasser leiden?‹
Aber das Kind riß die Augen auf; ›Es spricht‹, sagte sie; ›Wienke ist bange!‹
›Es spricht nicht; es rauscht und toset nur!‹
Das Kind sah ins Weite: ›Hat es Beine?‹ frug es wieder; ›kann es über den Deich kommen?‹
›Nein, Wienke; dafür paßt dein Vater auf, er ist der Deichgraf.‹
›Ja‹, sagte das Kind und klatschte mit blödem Lächeln in seine Händchen; ›Vater kann alles – alles!‹ Dann plötzlich, sich von der Mutter abwendend, rief sie: ›Laß Wienke zu Trin Jans, die hat rote Äpfel!‹
Und Elke öffnete die Tür und ließ das Kind hinaus. Als sie dieselbe wieder geschlossen hatte, schlug sie mit einem Ausdruck des tiefsten Grams die Augen zu ihrem Manne auf, aus denen ihm sonst nur Trost und Mut zu Hülfe gekommen war.
Er reichte ihr die Hand und drückte sie, als ob es zwischen ihnen keines weiteren Wortes bedürfe; sie aber sagte leis: ›Nein, Hauke, laß mich sprechen: das Kind, das ich nach Jahren dir geboren habe, es wird für immer ein Kind bleiben. O lieber Gott! es ist schwachsinnig; ich muß es einmal vor dir sagen.‹
›Ich wußte es längst‹, sagte Hauke und hielt die Hand seines Weibes fest, die sie ihren entziehen wollte.
›So sind wir denn doch allein geblieben‹, sprach sie wieder.
Aber Hauke schüttelte den Kopf: ›Ich hab sie lieb, und sie schlägt ihre Ärmchen um mich und drückt sich fest an meine Brust; um alle Schätze wollt ich das nicht missen!‹
Die Frau sah finster vor sich hin: ›Aber warum?‹ sprach sie; ›was hab ich arme Mutter denn verschuldet?‹
›Ja, Elke, das hab ich freilich auch gefragt, den, der allein es wissen kann; aber du weißt ja auch, der Allmächtige gibt den Menschen keine Antwort – vielleicht, weil wir sie nicht begreifen würden.‹
Er hatte auch die andere Hand seines Weibes gefaßt und zog sie sanft zu sich heran: ›Laß dich nicht irren, dein Kind, wie du es tust, zu lieben; sei sicher, das versteht es!‹
Da warf sich Elke an ihres Mannes Brust und weinte sich satt und war mit ihrem Leid nicht mehr allein. Dann plötzlich lächelte sie ihn an; nach einem heftigen Händedruck lief sie hinaus und holte sich ihr Kind aus der Kammer der alten Trin Jans,