Literaturepoche Aufklärung (Seite 2)
Entsprechend gestaltete sich die literarische Landschaft, wo die moralischen Wochenschriften einen triumphalen Einzug einhielten. Nach den englischen Vorbildern von Addison und Steele (The Tatler, The Spectator, The Guardian) begann 1713 mit Der Vernünftler von Mattheson eine explosionsartige Entwicklung, die bis zum Ende des Jahrhunderts über 500 allerdings meist sehr kurzlebige Titel erscheinen ließ. Diese Periodika bestanden aus Essays und fingierten Briefen, die auf populärem Niveau ein breites Spektrum von Themen erörterten, sowohl Fragen des Alltags als auch solche der Politik und Philosophie. Hier konnte man Gedanken zum Kaffeegenuß oder zur Kleidermode ebenso finden wie Auseinandersetzungen mit Problemen der Pädagogik und der Ästhetik, alles mit dem Ziel, das Publikum zu einem vernünftig-tugendhaften und dadurch letztlich glücklichen Leben zu erziehen.
Mit demselben Anspruch behandelten die damals ebenfalls aufkommenden Gelehrten- und wissenschaftlichen Zeitschriften immer häufiger auch Fragen des literarischen Geschmacks. Als zentrale Figur legte Johann Christoph Gottsched u. a. mit seinem Versuch einer critischen Dichtkunst (1729) die Poetik der Epoche fest. Klarheit und Deutlichkeit wurden nun an erster Stelle von der Literatur gefordert, die nach dem Motto prodesse et delectare ('nützen und erfreuen') das Vernünftige der Tugendhaftigkeit und die Lächerlichkeit des Lasters vor Augen führen sollte.
Gottsched, der sich auch um die Vereinheitlichung und Pflege der deutschen Sprache bemühte (Deutsche Sprachkunst von 1748) und auf diesem Gebiet neben seinem Lehrer Christian Wolff, vor allem was die wissenschaftliche und philosophische Terminologie angeht, bleibende Wirkung hatte, verfocht das Ideal einer reinen Verstandesdichtung. Diese sollte durch schnörkellosen Stil und übersichtlichen Aufbau, mit festen Gattungsnormen nach antikem und französisch-klassizistischem Muster sowie unter Auslassung alles Unwahrscheinlichen und Phantastischen dem Leser moralisch-sittliche Einsichten vermitteln; in seinem Drama Der Sterbende Cato (1731), das – heute schwer nachvollziehbar – über Jahrzehnte ein Erfolgsstück war, hat Gottsched seine theoretische Position in die Praxis umgesetzt.
Doch selbst in den Reihen der Aufklärer regte sich bald Widerstand gegen die Starrheit dieser Postulate. Gottscheds Frau, Luise Adelgunde Viktorie Kulmus, »die Gottschedin«, wich in ihren erfolgreichen Komödien z. T. vom Regelwerk ihres Mannes ab, indem sie komische Figuren ohne unmittelbaren didaktischen Zweck einführte. So ist z. B. ihre Pietisterey im Fischbein-Rocke (1736) – eine Abrechnung mit der Leichtgläubigkeit und dem Frömmlertum in den damals weit verbreiteten pietistischen Kreisen – eine durchaus heute noch witzige Satire geblieben.