Literaturepoche Realismus (Seite 2)

Die Rezipienten der realistischen Literatur kamen in jedem Falle aus der bürgerlichen Gesellschaftsschicht. Praktisch alle namhaften (und viele unbekannte) Autoren wurden in den Zeitschriften vorabgedruckt, die im 19. Jahrhundert große Bedeutung gewonnen hatten. Zu nennen sind hier vor allem die Blätter Deutsche Rundschau, Nord und Süd, Über Land und Meer, Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte und Die Gartenlaube; für den Bereich der Literaturkritik und -programmatik neben der bereits genannten Die Grenzboten die Zeitschrift Das Deutsche Museum.

Das Interesse an den wirtschaftlichen Verhältnissen, das Schriftsteller wie Gustav Freytag und Otto Ludwig (Zwischen Himmel und Erde, 1856) in ihren Romanen zeigen, hat verschiedene Gründe. Zum einen ging es den Autoren, die politisch zur nationalliberalen Bewegung zu rechnen sind, um die Darstellung dessen, was die Macht des Bürgertums ausmachte und seinen Anspruch auf politische Mündigkeit gegenüber dem Adel und den Landesfürsten begründete. Zum anderen hat die wirtschaftliche Tätgkeit in diesen Texten immer die Funktion einer moralischen Regulierungsinstanz: nur der gute, moralische und tüchtige Bürger kommt zu solidem wirtschaftlichen Wohlstand, der unmoralische Gegenspieler endet im wirtschaftlichen Ruin. Letztlich leben die Figuren dieser Texte also in einer heilen Welt, in der – auf der Basis des wirtschaftlichen Erfolgs – das Gute immer siegt und das Böse zugrunde geht.

Diese moralisierende 'Wirtschaftsideologie' gibt es bei den Autoren, die heute als bedeutendste Vertreter der Epoche gelten, mit Ausnahme Gottfried Kellers nicht. Keller hat dieses Denken von Der grüne Heinrich (1854–55/1880) bis in seinen späten Roman Martin Salander (1886) beibehalten; bei Theodor Fontane, Theodor Storm, Wilhelm Raabe und Conrad Ferdinand Meyer spielt das bürgerliche Wirtschaftsleben keine oder nur eine nebensächliche Rolle. Wenngleich sie also nicht für die gesamte Epoche charakteristisch war, so hatte die Literatur des bürgerlichen Wirtschaftslebens dennoch eine wichtige Schrittmacherfunktion in der Hinwendung zur gesellschaftlichen Realität.

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