Ungekürzter Text "Dantons Tod" von Georg Büchner (Seite 22)

III, 5

Das Luxemburg. Ein Kerker

Dillon, Laflotte, ein Gefangenwärter.

DILLON. Kerl leuchte mir mit deiner Nase nicht so in's Gesicht. Hä, hä, hä!

LAFLOTTE. Halte den Mund zu, deine Mondsichel hat einen Hof. Hä, hä, hä.

WÄRTER. Hä, hä, hä. Glaubt Ihr, Herr, daß Ihr bey ihrem Schein lesen könntet? Zeigt auf einen Zettel, den er in der Hand hält.

DILLON. Gieb her!

WÄRTER. Herr, meine Mondsichel hat Ebbe bey mir gemacht.

LAFLOTTE. Deine Hosen sehen aus, als ob Fluth wäre.

WÄRTER. Nein, sie zieht Wasser. Zu Dillon. Sie hat sich vor Eurer Sonne verkrochen, Herr, Ihr müßt mir was geben, das sie wieder feurig macht, wenn Ihr dabey lesen wollt.

DILLON. Da Kerl! Pack dich. Er giebt ihm Geld. Wärter ab. Dillon liest. Danton hat das Tribunal erschreckt, die Geschwornen schwanken, die Zuhörer murrten. Der Zudrang war außerordentlich. Das Volk drängte sich um den Justizpallast und stand bis zu den Brücken. Eine Hand voll Geld, ein Arm endlich, hm! hm! Er geht auf und ab und schenkt sich von Zeit zu Zeit aus einer Flasche ein. Hätt' ich nur den Fuß auf der Gasse. Ich werde mich nicht so schlachten lassen. Ja, nur den Fuß auf der Gasse!

LAFLOTTE. Und auf dem Karren, das ist eins.

DILLON. Meinst du? Da lägen noch ein Paar Schritte dazwischen, lang genug um sie mit den Leichen der Decemvirn zu messen. – Es ist endlich Zeit, daß die rechtschaffnen Leute das Haupt erheben.

LAFLOTTE für sich. Desto besser, um so leichter ist es zu treffen. Nur zu Alter, noch einige Gläser und ich werde flott.

DILLON. Die Schurken, die Narren sie werden sich zulezt noch selbst guillotiniren. Er läuft auf und ab.

LAFLOTTE bey Seite. Man könnte das Leben ordentlich wieder lieb haben, wie sein Kind, wenn man sich's selbst gegeben. Das kommt gerade nicht oft vor, daß man so mit dem Zufall Blutschande treiben und sein eigner Vater werden kann. Vater und Kind zugleich. Ein behaglicher Oedipus!

DILLON. Man füttert das Volk nicht mit Leichen, Dantons und Camilles Weiber mögen Assignaten unter das Volk werfen, das ist besser als Köpfe.

LAFLOTTE bey Seite. Ich würde mir hintennach die Augen nicht ausreißen, ich könnte sie nöthig haben um den guten General zu beweinen.

DILLON. Die Hand an Danton! Wer ist noch sicher? Die Furcht wird sie vereinigen.

LAFLOTTE bey Seite. Er ist doch verloren. Was ist's denn, wenn ich auf eine Leiche trete um aus dem Grab zu klettern?

DILLON. Nur den Fuß auf der Gasse! Ich werde Leute genug finden, alte Soldaten, Girondisten, Exadlige, wir erbrechen die Gefängnisse, wir müssen uns mit den Gefangnen verständigen.

LAFLOTTE bey Seite. Nun freilich, es riecht ein wenig nach Schufterei. Was thut's? Ich hätte Lust auch das zu versuchen, ich war bisher zu einseitig. Man bekommt Gewissensbisse, das ist doch eine Abwechslung, es ist nicht so unangenehm seinen eignen Gestank zu riechen.

Die Aussicht auf die Guillotine ist mir langweilig geworden, so lang auf die Sache zu warten! Ich habe sie im Geist schon zwanzigmal durchprobirt. Es ist auch gar nichts Pikantes mehr dran; es ist ganz gemein geworden.

DILLON. Man muß Dantons Frau ein Billet zukommen lassen.

LAFLOTTE bey Seite. Und dann – ich fürchte den Tod nicht, aber den Schmerz. Es könnte wehe thun, wer steht mir dafür? Man sagt zwar es sey nur ein Augenblick, aber der Schmerz hat ein feineres Zeitmaaß, er zerlegt eine Tertie. Nein! Der Schmerz ist die einzige Sünde und das Leiden ist das einzige Laster, ich werde tugendhaft bleiben.

DILLON. Höre Laflotte, wo ist der Kerl hingekommen? Ich habe Geld, das muß gehen, wir müssen das Eisen schmieden, mein Plan ist fertig.

LAFLOTTE. Gleich, gleich! Ich kenne den Schließer, ich werde mit ihm sprechen. Du kannst auf mich zählen General, wir werden aus dem Loch kommen, für sich im Hinausgehn um in ein anderes zu gehen, ich in das weiteste, die Welt, er in das engste, das Grab.

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