Ungekürztes Werk "Joseph" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 2)

Niederlande hingegen, dieser von Land- und Wasserstraßen durchzogene und von fremden Elementen überschwemmte Landstrich, bewahrt dennoch in der Natur seines Volksschlages einen Hort alles abwehrender Eigentümlichkeit, der besser schützt als Gebirge, die erstiegen, und Talschluchten, die durchstöbert werden können, und den man, nachdem er die neueren Ereignisse überstanden, wohl für unzerstörbar halten darf. Ich war sehr gern in Holland und hatte alle Ursache dazu: freundliche Aufnahme, noch freundlichere Bewirtung, gänzliche Zwanglosigkeit hinsichtlich meiner Zeitanwendung (es versteht sich, daß ich auf dem Lande und in meiner Privatwohnung war; in Städten und Gasthöfen ist mir immer elend); frische, stärkende Spaziergänge durch die Wiesen am Ufer der Maas, und vor jedem Hause, jeder Mühle Szenen Wynants und Wouvermans, Bilder so treu, als wären sie eben von der Leinwand einer niederländischen Meisterschule gestiegen. Das ist es eben, was ich mag. Ob mein alter Tuinbaas vom Kasteel (Gärtner vom Edelhof) noch wohl lebt? Jetzt müssen seine Tulpen im Flore stehen; aber zehn Jahre sind ein bedenkliches Stück Menschenleben, wenn man sie mit weißen Haaren anfängt – ich fürchte sehr, er hat längst seine Gartenschürze ab- und seine letzte Zipfelmütze angelegt. Oder meine gute Nachbarin auf ihrem kleinen Landsitze, dem sie genau das Aussehen eines sauberen Wandschränkchens mit Pagodenaufsatz gegeben hatte? Sie war vielleicht nur um sieben bis acht Jahre älter als ich, trug Sommers und Winters Pelzschuhe, und ich konnte barfuß durch den Schnee traben, das heißt, ich konnte es vor zehn Jahren, ehe ich mich in einer schwachen Stunde vom faselhänsigen Volke verführen und bereden ließ, auf den Schnepfenstrich zu gehen, und ich die Gicht bekam. Und wenn ich vollends bedenke, daß ich mich vor einigen Jahren noch verheiraten wollte, und zwar an ein blutjunges Mädchen! Doch das sind Torheiten, korrupte Ideen.

Ob alt, ob jung – ob tot, ob lebend – Mevrouw van Ginkels Andenken ist mir wert; sie hatte viel und früh gelitten, und auch von ihrer späteren glücklicheren Lage an der Hand eines geachteten und wohlhabenden Gatten, von Brüdern und Schwestern, war ihr nur in einem anständigen Auskommen die Möglichkeit geblieben, ungestört des Vergangenen zu gedenken und jedem Lieblinge unter ihren zahllosen Aurikeln den Namen eines geliebten teuren Verstorbenen geben zu können. Sie war gewiß schön gewesen, – so fromme, traurige Augen müssen ja jedes Gesicht schön machen, und gewiß sehr anmutig, hätte sie auch nichts gehabt als den bezaubernden Wohlklang ihrer Stimme, die das Alter wahrscheinlich um einige Töne tiefer gestimmt, aber ihr nichts von der jungfräulichen Zartheit genommen hatte, und die jeden Gedanken ihrer Seele zugleich umschleierte und enthüllte und einem Blinden das beweglichste Mienenspiel ersetzen konnte. Welch ein Unterschied, wenn sie bei einer dunklen Aurikel verweilte und in jugendlichem Entzücken sagte: »Das ist meine gute Frau Goudart«, und bei einer der blondesten mit großen lichtblauen Augensternen: »Julchen«, und schnell weiter ging, als fürchte sie, ein fremdes, kaltes Auge möge in das Tote ihres Lebens niedersinken.

In meinem Leben bin ich nicht so in Gefahr gewesen, ein sentimentaler Narr zu werden, als bei dieser alten, pünktlichen Mevrouw, die nie klagte, nicht

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