Ungekürztes Werk "Joseph" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 3)

einmal über Migräne oder schlechtes Wetter, deren ganze Unterhaltung sich um Blumenflor, Milchwirtschaft und sonstige kleine Vorfälle ihrer Häuslichkeit bewegte, so zum Beispiel um einige Nachbarskinder, die sie mit Butterbrot und Milch an sich gewöhnt hatte.

Ich glaube wahrhaftig, ich war nahe daran, mich in die alte Person zu verlieben oder wenigstens in eine unbegreifliche Überfülle von Verehrung zu geraten, weshalb ich denn am liebsten abends zu ihr ging, wo sie steif hinter der Teemaschine saß, sich mit den Schnörkeln eines Stickmusters abmühend, das die größte Ähnlichkeit mit einem holländischen Garten voll Ziegelbeeten und Taxuspfauen hatte; vor ihr die kleine, goldene Tabatière, rechts und links Etageren voll Pagoden und Muschelhündchen und alles überträufelt von dem feinen Aroma des Kaisertees.

O, vivant die Niederlande! das war ein echter Gerhard Dow, ohne Beimischung, die einen ruhigen Philister hätte stören können – dann wand sich auch das Gespräch fließend ab, und Mevrouw gab sogar mitunter einiges aus ihren Erlebnissen zum besten, offenbar mehr in dem Bestreben, einen Gast nach seinem Geschmacke zu unterhalten, als aus eigentlichem Vertrauen, das sie im weiteren Sinne gegen jedermann im Übermaß hatte, im engeren Sinne aber niemand schenkte. Es waren meistens kleine Züge, aber sehr wahre.

Wäre ich ein romantischer Hasenfuß gewesen und hätte ich die Gewohnheit gehabt, meine guten Augen (NB. wenn mich jemand sollte zufällig mit Brillen gesehen haben, ich trage nur Konservationsbrillen) nachts mit Tagebuchschreiben zu verderben, es stände doch jetzt wohl manches darin, was ich gerne nochmals läse und was in seiner einfachen Unscheinbarkeit mehr Aufschlüsse über Volk, Zeit und das Menschenherz gäbe als manches zehnmal besser Geschriebene. Eine Begebenheit jedoch, vielleicht die einzig wirklich auffallende in Mevrouws Leben, habe ich mir später vor und nach notiert und, da meine gute Frau van Ginkel ohne Zweifel längst in ihren Pelzschuhen verstorben ist, mir ferner kein Umstand einfällt, der ihr die Veröffentlichung unangenehm machen könnte, und mein jüngster Neffe, der, Gott seis geklagt, sich auf die Literatur geworfen hat, jedoch ein artiges Geld damit verdient, gerade sehr um einen Beitrag im gemütlichen Stil verlegen ist, so mag er denn den Aufsatz nehmen, wobei ich jedoch bestimmt erkläre, daß ich nur wörtlich der würdigen Frau nachgeschrieben habe und mich sowohl gegen alle poetischen Ausdrücke als überhaupt gegen den Verdacht der Schriftstellerei, als welcher mich bei meiner übrigen Lebensweise und Persönlichkeit nur lächerlich machen könnte, aufs kräftigste verwahre.

Caspar Bernjen, Rentier.

 

NB. Den Nachbarn, zu dem Mevrouw redet, und der natürlich niemand ist als ich, Caspar Bernjen, Rentier und Besitzer eines artigen Landgutes in Niedersachsen, müssen der Neffe und der Leser sich als einen ansehnlichen, korpulenten Mann mit gesunden Gesichtsfarben in den besten Jahren mit blauem Rock mit Stahlknöpfen und einer irdenen Pfeife im Munde, an der linken Seite des Teetisches denken. Es geht nichts über Deutlichkeit und Ordnung in allen Dingen.

 

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»Sie erwähnten gestern eines Umstandes, lieber Herr Nachbar, der sich in Ihrem vierzigsten Jahre ereignet und über den Sie damals an Ihre Eltern geschrieben; da hat Ihnen der Himmel ein großes Glück gegeben.

Ich weiß, was es heißt, keine Mutter

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