Ungekürztes Werk "Joseph" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 5)

Comptoir, um elf auf die Börse, von eins bis zweie zu Tische, was vielleicht die schwierigsten Stunden waren, wo er, den Kopf voll Gedanken, den angenehmen Wirt machen mußte.

Nachmittags wieder gearbeitet, Spekulationen nachgegangen und zuletzt noch bis Mitternacht in seinem Zimmer geschrieben. Er hat ein saures Leben gehabt.

Ich wuchs indessen in ein paar hübschen Mansardenzimmern bei einer Gouvernante, Madame Dubois, heran und sah mancherlei im Hause, was mir nach und nach anfing wunderlich vorzukommen, so zum Beispiel, fast jeder hatte irgend einen Nachschlüssel, dessen er sich vor mir nicht gerade sehr vorsichtig, aber doch mit einer Art Behutsamheit bediente, die mich endlich aufmerksam machen mußte. Selbst Madame Dubois hatte einen zur Bibliothek, da sie für ihr Leben gern Romane las, von denen ihr unser Kassierer nicht so viele zusteckte, als sie konsumieren konnte.

Man nimmt sich vor Kindern nicht in acht, bis es zu spät ist. Hier war es aber leider nicht zu spät; denn als Madame Dubois, die notabene von meiner Kenntnis ihres Schlüssels nichts wußte und nur in bezug auf andere sprach, mir auseinandersetzte, daß Schweigen besser sei, als Verdruß machen, war ich noch viel zu jung, um einzusehen, wie höchst nötig Sprechen hier gewesen wäre. Ich fühlte mich durch ihr Vertrauen noch sehr geehrt und habe nachher leider manches noch mit vertuschen helfen. Kinder tun, wie sie weise sind.

Ich sah, so oft mein Vater auf die Börse ging, die Kommis wie Hasen am Fenster spähen, bis er um die Gassenecke war, und dann forthuschen, Gott weiß wohin. Ich sah den Bedienten in meines Vaters seidenen Strümpfen und Schuhen zum Hinterpförtchen hinausschleichen; ich hörte nachts den Kutscher an meiner Tür vorbeistapfen in den Weinkeller hinunter und wälzte mich vor Ärger im Bette, aber wiedersagen – um alles in der Welt nicht. Dazu war ich viel zu verständig.

Ich hörte sogar, wie jemand der Madame Dubois erzählte, unser Kassierer, Herr Steenwick, spielte jeden Abend und habe in der vorigen Nacht zweitausend Gulden verloren und wie die Dubois antwortete: »Um Gottes willen, woher nimmt der Mensch das Geld? Da sollte einem hier im Hause doch schwarz vor den Augen werden!«

Dies war kurz nach meinem vierzehnten Geburtstag und das erstemal, daß sich mir der Gedanke aufdrängte, Schweigen könne doch auch am Ende seine bedenkliche Seite bekommen.

Das Ding lag mir den ganzen Abend im Sinn, und ich zerbrach mir den Kopf darüber, woher Steenwick das Geld nehme. Ich wußte, daß er arm war, und hatte oft gehört, daß seine Eltern arme Fischer bei Saardam seien. Auch bekam er nur tausend Gulden Gehalt. Ich hatte bei van Gehlens von einem Kommis gehört, der aus seines Herrn Kasse gespielt hatte.

Obwohl Steenwick das Treueste war, was ich im Hause kannte, so weit meine Erinnerung reichte, und auf den Madame so besonders viel hielt, und noch neulich ein Paar Tragbänder für ihn gestickt hatte, so überfiel mich doch eine instinktartige Angst, die nicht ganz frei von Mißtrauen war, und doch immer wieder mit der Erzählung von jenem Kommis verschmolz. Auch fiel mir ein, daß Madame auch so still

Seiten