Ungekürztes Werk "Joseph" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 11)

der Schelde. Er hatte nichts in der Tasche, als seine gewöhnliche grüne Börse mit sechs Stuyvern darin und einen kleinen leeren Geldsack, den er aus angewöhnter Pünktlichkeit mußte mechanisch wieder eingesteckt haben. Man hätte eigentlich zuerst hierauf verfallen sollen, da von seinen Habseligkeiten nicht das geringste vermißt wurde, nichts als die Kleider, die er am Leibe trug, und seine alte silberne Uhr.

Aber die Leute denken gern immer das Schlimmste. Lieber Gott, es ist freilich schlimm genug, anderer Leute Geld zu verspielen und dann – ein solches Ende! Aber Mynheer wissen wohl, es kommt einem doch nicht so schimpflich vor als ein anderer Diebstahl.

Ein Spieler ist wie ein Betrunkener, wie ein Besessener, aus dem der Böse handelt wie eine zweite fremde Seele. Habe ich nicht recht? Herr Steenwick hatte unserm Hause zwanzig Jahre lang gedient, hatte so manche Nächte durchgearbeitet und auch nicht ein Endchen Bindfaden verkommen lassen; er war wahrhaftig noch grimmiger aufs Geschäft verpicht, als der Herr selbst, und nun ein solches Ende!

Indessen hat er, gottlob, doch noch ein ehrliches Grab bekommen, weil sich mehrere Leute fanden, die ihn in der Morgendämmerung hatten taumeln sehen wie einen Betrunkenen, und zwar in der Richtung nach Hause zu. So wurde denn angenommen, er habe, wie unglückliche Spieler häufig, sich zu viel Courage getrunken und sei so ohne Absicht dem Scheldeufer zu nahe gekommen.

Madame Dubois soll nachher auch noch heimlich auf sein Grab ihren Balsaminenstock gepflanzt haben, ist aber doch dabei belauscht worden – die arme Seele! Sie war wirklich gut von Natur, nur durch Romanelesen etwas konfus geworden, und wußte nicht recht mehr, ob sie alt oder jung war, und auch zu furchtsam geworden durch das Gefühl ihrer abhängigen Lage und noch mehr ihrer täglich abnehmenden Fähigkeit, sich selbst zu ernähren. Aber ihr Wille war immer der beste, und sie suchte mich vor jedem schädlichen Eindruck mit einer Treue zu hüten, für die ich ihr im Grabe noch dankbar bin.

Jetzt ist sie lange, lange tot; sie starb schon das Jahr darauf, als ich zu meinem Ohm kam, und ihre Ersparnisse in unserem Dienste haben übrig ausgereicht bis an ihr Ende.

So quälen wir uns oft umsonst, und unser Herrgott lacht dazu.«

*

Hier schien Mevrouw van Ginkel ihre Mitteilungen endigen zu wollen. Sie schüttete frischen Tee auf, nahm eine Prise aus ihrem goldenen Döschen und sah mich mit jenem wohlwollenden Blicke an, der bei höflichen Leuten den Wunsch, auch den anderen zu hören, ausdrückt. Ihr Gesicht war völlig ruhig, sogar lächelnd; doch hing etwas Glänzendes in ihren Augwimpern, das aber nicht weiter kam.

Ich hingegen war in eine Stimmung geraten, worauf ich eigentlich gar nicht für diese Stunde gerechnet hatte, und hätte für mein Leben gern Mevrouw in ihrer Dorfwirtschaft gesehen, um so mehr, da unschuldige Kinder sowohl wie alte Junggesellen mir ein gleich starkes Interesse erregen und man beide selten wie hier vereinigt findet.

So tat ich einige blinde Fragen nach der Lage des Dorfes und wieviel Dienstboten und wieviel Kühe und so weiter. Mevrouw erriet meine Absicht und sagte sehr freundlich: »Ich sehe wohl, Mynheer interessieren sich für meinen guten Ohm, und gewiß hat es auch nie einen besseren Mann gegeben – und keinen ehrwürdigeren«, fügte sie hinzu mit einem Ausdruck kindlicher Scheu, der ihr fast wieder das Ansehen einer kleinen wohlerzogenen Jungfer von vierzehn Jahren gab.

»Indessen läßt sich wenig von unserem Leben sagen. Es war sehr einfach und so einförmig, daß, wenn nicht die Kirchenfeste und die Jahreszeiten gewesen wären, unsere Tage einander so gleich gewesen wären wie Wassertropfen.«

Hier schüttete sie Wasser auf den Tee, und ich betrachtete einen am Kessel hängenden Tropfen, der allerdings wenig Unterhaltung zu versprechen schien.

»Aber«, fuhr sie fort, »so sollte es nicht bleiben, und ich möchte dem Herrn Nachbar wohl die Katastrophe von meines Ohms, ich kann wohl sagen, von meinem Schicksal erzählen, damit Sie sehen, was der, dem ich am meisten in der Welt zu danken habe, für ein Mann war. Aber da ist eine andere kuriose Geschichte hineinverflochten, die Mynheer gewiß interessieren würde, aber etwas lang ist. Haben Mynheer sich auch gut gegen die Abendluft verwahrt?«

Ich versicherte, daß ich alle nötigen Maßregeln getroffen, obwohl ich, ehrlich gesagt, heute zum ersten Mal meine dritte Weste ausgelassen hatte und mit einiger Sorge an den Tau dachte.

Jedoch hatte ich Mevrouw noch nie in so mitteilender Stimmung gesehen und war entschlossen, diese zur Erweiterung meiner Menschenkenntnis um jeden Preis zu benutzen. So beteuerte ich, daß ich nie nach dem Tee noch zu Abend esse – was auch wahr ist – und mir längst eine gelegentliche Mondscheinpromenade am Maasufer vorgenommen hätte, was allerdings nicht ganz mit meinem sonstigen Geschmacke und meinen sonstigen Gewohnheiten übereinstimmte. Mevrouw sah mich auch so verwundert an, als mache vor ihren Augen eine Schildkröte Vorbereitungen, auf den Hinterbeinen zu spazieren; jedoch fuhr sie ohne weitere Bemerkungen in ihren Mitteilungen fort, nur zuweilen kleine Pausen machend, um mir einzuschenken oder ihrem goldenen Döschen zuzusprechen, wobei sie mich in so wohlwollender Weise zum Mitgenuß einlud, daß ich bei mir an die Friedenspfeife der Indianer denken mußte; welche Unterbrechungen ich durch Absätze bezeichne und dem Leser die Ausmalung der kleinen Zwischenspiele überlassen werde. Also Mevrouw fuhr fort:

[Unvollendet.]

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