Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 16)

Gedanke des Einsinkens begann sich zu erzeugen, dennoch war sie im Zwange des Traumes zu einem wie hingestoßen, und kaum betrat sie ihn, so stürzte er zusammen. Sie fühlte ordentlich den Schwung im Fallen und hörte die Bretter des Sarges krachend brechen, in dem sie jetzt neben einem Gerippe lag; ach, es war ja ihr Liebstes, das wußte sie sogleich. Sie umfaßte es fester, als wir Gedanken fassen können; dann richtete sie sich auf und suchte in dem grinsenden Totenkopfe nach Zügen, für die sie selbst keine Norm hatte. Es war aber nichts, und zudem konnte sie nicht recht sehen; denn es fielen Schneeflocken, obschon die Luft schwül war. Übrigens war es jetzt am Tage. Sie faßte eine der noch frischen Totenhände, die vom Gerippe losließ. Das schreckte sie gar nicht. Sie preßte die Hand glühend an ihre Lippen und legte sie dann an die vorige Stelle und drückte das Gesicht fest ein in den modrichten Staub. Nach einer Weile sah sie auf; es war wieder Nacht, und ihr voriger Begleiter stand sehr hoch am Grabe mit einer Laterne und bat sie, mitzugehen. Sie antwortete, sie werde nun hier liegen bleiben, bis sie tot sei; er möge gehen und die Laterne da lassen, was er auch sogleich tat, und sie sah wieder eine Weile nichts als das Gerippe, dem sie mit einer herzzerreißenden Zärtlichkeit liebkoste. Plötzlich stand ein Kind neben dem Grabe mit einem Korbe voll Blumen und Früchten, und sie besann sich, daß es eins derer sei, die im Theater Erfrischungen umherbieten. Sie kaufte ihm seine Blumen ab, um den Toten damit zu schmücken, wobei sie ganz ordentlich und ruhig die Früchte auslas und zurückgab. Da sie den Korb ausschüttete, wurden der Blumen so viele, daß sie das ganze Grab füllten. Des freute sie sich sehr, und wie ihr Blut milder floß, formte sich die Idee, als könne sie den verwesten Leib wieder aus Blumen zusammensetzen, daß er lebe und mit ihr gehe. Über dem Aussuchen und Ordnen der Blumen erwachte sie, und, wie bei Träumen immer nur der allerletzte Eindruck in das Leben übergeht, ziemlich frei, aber ihr war unerträglich heiß.

Sie richtete sich auf und sah noch etwas verstört im Zimmer umher.

Das Mondlicht stand auf dem Vorhange eines der Fenster, und da der Fluß unter ihm zog, schienen sie zu wallen wie das Gewässer. Der Schatten fiel auf ihr Bett und teilte der weißen Decke dieselbe Eigenschaft mit, daß sie sich wie unter Wasser vorkam.

Sie betrachtete dies eine Weile, und es wurde ihr je länger je grauenhafter; die Idee einer Undine ward zu der einer im Fluß versunkenen Leiche, die das Wasser langsam ruhig zerfrißt, während die trostlosen Eltern vergebens ihre Netze in das unzugängliche Reich des Elements senken. Ihr ward so schauerlich, daß sie sich nach einigen Skrupeln wegen der Glut in ihrem Körper entschloß, aufzustehen und die Vorhänge wegzuziehen. Die Nacht war überaus schön. Der Mond stand klar im tiefen Blau. Die Wolken lagerten dunkel am Horizont in einer schweren getürmten Masse, und der Donner hallte

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