Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 18)

an den Steinen des Weges und wußte nichts von ihr, wenn er einst ihren Tod las in den Blättern der Zeitungen. Jetzt war er dem Schlosse gegenüber, wo der Fußsteig mit Steinen gepflastert war, ein langsamer Hufschlag schallte zu ihr hinauf, und sie strengte ihre Sehkraft an, um den letzten Umriß seiner Gestalt festzuhalten.

Plötzlich zog eine Wolke, die der Westhauch am Horizont als Herold aussandte, über den Mond; es ward ganz finster, und zugleich schlug ein schwerer, klatschender Fall an ihr Ohr, ihm folgte ein heftiges Plätschern und der laute Angstruf einer männlichen Stimme. Ledwina sprang verwirrt in fürchterlichem Schrecken vom Fenster zurück und wollte nach Hilfe eilen, aber ihre Kniee trugen sie nur bis in die Mitte des Zimmers, wo sie zusammenbrach, doch ohne die Besinnung zu verlieren. Sie schrie nun im höchsten Entsetzen anhaltend und fast über ihre Stimme, und nach einer Minute war ihre Mutter, ihre Schwester und fast das ganze weibliche Personale um sie versammelt. Man hob sie auf und trug sie ins Bett und meinte, sie rede irre, da sie beständig und angstvoll rief: »Macht das Fenster auf! – im Flusse – er liegt im Flusse«, und sich loszureißen strebte. Marie, die vor Schrecken hell weinte, war jedoch die erste, die den Ruf vom Flusse her durch das laute Gewirr unterschied. Man riß das Fenster auf, und bald zogen die Domestiken des Schlosses, noch ganz betäubt und mit Stangen und Haken an das Ufer. Den Reisenden hatte sein rasches Pferd aus den Wellen getragen, in die er dem Irrlichte in der Hand seines Führers gefolgt war, da er sehr dicht hinter ihm trabte. Er stand sehr triefend neben seinem schnaubenden Tiere und wollte eben in der Angst von neuem in den Strom, das fortschwimmende Menschenleben zu retten, da ihm das fremde Land sonst keine Hilfe zu bieten wußte.

Therese stand händeringend am Fenster und horchte auf Laute der Suchenden durch den Sturm, der nun mit einer fürchterlichen Heftigkeit losgebrochen war. Der Donner rollte sonder Aufhören. Das Wasser tanzte in greulicher Lust über der gefallenen Beute und warf sprühenden Schaum in die Augen derer, die sie ihm zu entreißen suchten. Der Fremde stand am Ufer, bebend vor Frost. Er wollte nicht ins Schloß, aber mit einem Kahn in die empörten Wogen. »Wollen Sie sich selbst ums Leben helfen?« sagte der alte Verwalter. »Mich dünkt, an einem ist es genug.« – »O Gott!« rief der Fremde schmerzlich, »ich habe ihn so beredet; wollte nicht von seiner alten Mutter, die sich vor dem Gewitter fürchtet. Um Gottes willen, einen Kahn, einen Kahn!« – »Einen Kahn können Sie nicht kriegen, wir haben keinen«, sagte der Verwalter. Der Fremde hielt ihm eine Laterne hoch vors Gesicht, und wie er ihm in dem falschen Schein zu lachen schien, faßte er ihn wie wütend an der Brust und rief: »Einen Kahn, oder ich werfe dich auch ins Wasser.« Der Verwalter blickte ihn fest an und sagte: »Wir haben keinen.« Der Fremde sprach ernsthaft verwirrt: »Wie seid Ihr denn hierher gekommen?« – »Über die

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