Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 20)

das Gespräch ging etwas gedrückt fort über allerhand Göttinger Vorfälle, als einzig bekannte Berührungspunkte beider.

»Fräulein Marie, nehmen Sie sich in acht«, sagte der Fremde aus dem Gespräch zu Marien gewandt, die ein geöffnetes Federmesser wiederholt an den Mund hielt, um den Stahl zu prüfen. Marie ward rot und legte das Messer hin.

»Ganz recht, Marie heißt sie«, sagte die Frau von Brenkfeld höflich lächelnd.

»Ich glaube, ich werde Sie alle zu nennen wissen«, versetzte der Graf lebhaft und sandte die leuchtenden Augen durch den Kreis. »Steinheim ist ein getreuer Maler; glauben Sie wohl, daß ich Sie sämtlich sogleich wiedererkannte?«

»Sie haben Steinheim viel gesehen?« sagte Karl.

»O sehr viel«, versetzte Hollberg rasch, »in dem letzten Jahre täglich oder vielmehr fast den ganzen Tag. Ich habe sogar ihm zu Gefallen ein mir sonst ganz unnötiges Kollegium mitgehört.« Karl lachte ganz trocken.

»Solange Sie dort waren«, fuhr der Graf fort, »konnte man freilich nicht so recht an ihn kommen, denn sein Herz ist wohl für mehrere Abwesende, aber immer nur für einen Gegenwärtigen offen. Ich hatte keinen Vorwand, ihn zu besuchen, und auf unsern Kommersen erschien er gar nicht. Aber jetzt«, fuhr er mit einem blitzenden raschen Blicke fort, »jetzt glaube ich, weder mich noch andere zu täuschen, wenn ich sage, wir haben uns beide sehr lieb.« – »Wissen Sie auch, wie ich heiße?« sagte die Frau von Brenkfeld in Verlegenheit, das Ungehörige ihrer Frage nicht bedenkend. Der Fremde ward rot und sagte: »Sie meinen, gnädige Frau?« Dann sah er nieder und sagte mit bescheidener Stimme: »Feiern Sie nicht Ihr Namensfest am neunzehnten November?« – »Ganz recht«, versetzte Frau von Brenkfeld, »ich heiße Elisabeth.« – »Die drei Fräulein«, fuhr der Graf fort, »werden sich Fräulein Therese und Marie nennen. Der Name der dritten ist nur schwer zu behalten, und ich fürchte, ihn zu verfehlen; er muß beinahe wie Lidwina oder Ledwina klingen.«

»Völlig wie das letztere«, sagte die Mutter und blickte auf Ledwina, und der Graf neigte lächelnd freundlich gegen sie, die es jedoch nicht bemerkte, da sie eben an die Freude Theresens dachte, der sie so gern dieses milde Öl in die, wie sie meinte, noch wogende See gegönnt hatte.

»Können Sie mir nicht sagen«, fragte Karl, »wann Steinheim hieher kommen wird?«

»Gewiß so bald wie möglich«, versetzte der Graf mit einem langen, sprechenden Blicke.

Karl zog die Lippen und sagte: »Ich habe eine kleine Reise vor, so möchten wir uns verfehlen, aber ich schiebe oder gebe sie auf, je nachdem es fällt.«

»Eine Reise, wohin?« fragte Ledwina verwundert, und Karl versetzte kurz und verdrießlich: »Auf den Harz vielleicht«, und dann zum Grafen: »Wir hoffen Sie zugleich hier zu sehen.«

Der Graf sagte freundlich, indem er die schwarzen Locken aus der breiten Stirn schüttelte: »Sehen Sie, wie gut Steinheim es mit mir meint; aber ich muß selbst wissen, was ich wagen darf. Wenn Sie mir nun den Stuhl vor die Tür gesetzt hätten –« Die Frau von Brenkfeld wollte höflich einfallen, aber der Graf fuhr fort: »Mir ist eine liebe Freude verdorben: ich wollte meine Schwester zu ihrem Geburtstage überraschen; daher der

Seiten