Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 22)

sitzt er ihm gar mitten drin.«

Es pochte an die Tür, und ein Ackerknecht trat auf den Socken herein.

»Ihre Gnaden«, hub er an, »der fremde Herr frägt nach Leuten im Dorfe, die ihm für Geld und gute Worte den Klemens suchen sollen. Wenn das so sein soll, dann muß das geschehn, aber finden tun sie ihn nicht; das Wasser ist zu lang, der mag wohl schon zehn Stunden weit sein.«

»Ich will mit dem fremden Herrn sprechen«, sagte die Frau von Brenkfeld, »geht nur.«

Wie der Knecht hinaus war, sah sie ihre Kinder schweigend an und sagte dann in entsetzlicher Unruhe: »Ich glaube, wir vertragen uns nicht lange.«

Dann ging sie hinaus, dem Grafen Vorstellungen zu machen. Karl sah ihr nach und sagte peinlich lachend: »Es freut mich nur, daß dieser Aufenthalt nicht mir gilt, ich habe das alles gefürchtet. Hollberg ist doch sein ganzes Leben verwöhnt worden. Es waren wohl unser viere, denen er gefiel. Wir hatten uns vorgenommen, einen ordentlichen flotten Suitier aus ihm zu machen. Er gab sich auch gut zu allem; aber mitten im besten Kommers konnte ihn plötzlich etwas meistens ganz Unbedeutendes so tief und seltsam ergreifen, daß er uns die ganze Lust verdarb mit seiner wunderlichen Stimmung; das ist zuweilen recht interessant, aber immer ungeheuer unbequem, zudem konnte er nie einen rechten Begriff vom Studentenleben fassen und bei Zusammenkünften sein wie unter Philistern und bei Ehrenpunkten arglos und zutraulich wie unter Brüdern; er hätte können die ärgsten Händel haben, aber jeder kannte und schonte ihn.«

»So war er wohl sehr geliebt?« fragte Therese.

»O doch«, versetzte Karl, indem er seinen verlegten Tabaksbeutel in der Stube umsonst suchte, »zudem ist zugleich arglos und nobel sein wohl der sicherste Weg zu allgemeiner Berücksichtigung; es gibt so etwas Prinzenhaftes.«

Therese wandte sich zu Ledwina: »Es ist doch etwas Eigenes um das angeborene Vornehme.«

»Es ist daran viel Wahres«, versetzte Ledwina, »solange es nur äußere Formen, die das innere Ehrgefühl gar nicht nennt, und auch die nur arglos verletzt.«

»Jawohl«, sagte Therese, »dann ist es mir aber auch lieber als Schönheit; – nicht allein beim Mann«, fuhr sie freundlich sinnend fort, »auch für mich selber würde es meine Wahl treffen.«

»O, freilich, versetzte Ledwina, und Karl, der wieder zu ihnen trat, sagte: »Ich möchte mich indessen nicht so berücksichtigt sehen; es erinnert doch immer etwas an die Achtung für die Frauen.«

Therese sah unwillig auf; dann begann sie erst leise, dann immer herzlicher zu lachen.

»Es ist doch häßlich«, sagte sie, sich vergebens zu bezwingen suchend, »daß man so albern lachen muß.«

Die Mutter trat mit dem Grafen herein. »Sie sehen das wohl ein«, sagte sie eben. – »Ganz gewiß«, versetzte derselbe und sah glühend um sich. »Die gnädige Frau haben zu befehlen, es ist mir nur um der Mutter willen.«

»Die Mutter«, sagte Frau von Brenkfeld, »wird den Anblick der Leiche nach einigen Tagen vielleicht besser ertragen als jetzt; wenigstens hoffe ich es.«

»Ich glaube es nicht«, erwiderte der Graf bewegt. »Sie kann sich nicht trösten. Sie hat ja nichts gehabt wie den Sohn.« Frau von Brenkfeld sprach ernst: »Sie irren; wir

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