Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 21)

unglückliche Gedanke, die schöne Nacht zu Hilfe zu nehmen.« Dann wurde er plötzlich finster, stand auf und ging hinaus. »Wie gefällt dir der?« sagte Frau von Brenkfeld, wie aus tiefer Beklemmung aufschauend, zu Ledwina. Diese schüttelte seltsam lächelnd das Haupt und sagte: »Ich weiß noch nicht, aber ganz eigen.«

»Er hat etwas Kindisches«, fiel Karl ein, »das bringt seine Krankheit mit sich.«

»Ist er krank?« sprach Ledwina gespannt; »er sieht ja ganz frisch aus, beinahe zu frisch.«

»Ach Gott, was wollte er frisch aussehen«, versetzte Karl, »es hat mich recht erschreckt, wie ich ihn sah. Bei seinem Aufenthalt in Göttingen war er immer leichenblaß; er hat deshalb lange Pallidus geheißen, bis die Sache sich endlich nicht mehr für den Scherz eignete, aber jetzt –« Karl schwieg ernst und fuhr dann fort: »Ich denke, wie wir einmal einen guten Kommers in Ulrichs Garten hatten und, da mehrere aus uns Sträuße wilder Blumen im Gehen pflückten, einer endlich die Frage aufwarf, was eigentlich die sogenannte Totenblume sei, da viele die dunkelrote Klatschrose, andere den hellroten Widerstorz und noch andere eine gelbe hohe Blumen so nennen; wie er da so wehmütig sagte: ›Mir scheint die hellrote diesen Namen vor allen zu verdienen. Das Hellrot ist doch die rechte Totenfarbe. Lieber Gott, wie schön können die Totenblumen blühen, so kurz vor dem Abfallen!‹ Dann blieb er zurück und war den ganzen Abend still; denn sein Vater hatte mit der schönen, geistreichen Mutter, gegen den Willen aller Verwandten, die Auszehrung in die Familie geschleppt.«

»Das finde ich wahrhaft schlecht; du wählst harte Ausdrücke, Karl«, sagte Therese, die seit den letzten Minuten wieder gegenwärtig war; »es ist wahrhaftig genug Schlechtes in der Welt; man braucht mit dem Worte nicht so zu wuchern.«

Karl sagte beleidigt und deshalb kalt: »Vielleicht kann ich es nach seiner Persönlichkeit auch verrückt nennen; ich müßte dann annehmen, daß er in einer fixen Idee sie für gesund hielt. Mich wenigstens würde die heftigste Leidenschaft nicht verleiten, mein ganzes Geschlecht wissentlich zu vergiften.«

Therese, die Hollberg aus begreiflichen Gründen sehr

wohlwollte, sagte diesmal rasch und ganz unüberlegt: »Wenn er aber nun außerdem gar nicht lieben und deshalb auch nicht heiraten kann?« Karl blieb stehen, sah sie spöttisch an, klopfte dann mit dem Finger sacht an ihre Stirn und sagte mit Nachdruck: »O, du blinde Welt, wie stolperst du im Dunkeln!« Therese bog die Stirn unwillig zurück, aber sie sagte nichts; denn es ärgerte sie unglaublich, gerade jetzt etwas Albernes gesagt zu haben; noch mehr Ledwina, die im Grunde die Schwester nicht allein für an Herz und Gemüt reicher, sondern auch in ihrer klaren Umsicht im ganzen für klüger hielt als den kenntnisreichen, kräftigen, aber in seinem oft übertriebenen Selbstgefühl beschränkten Bruder.

»Dem sei, wie ihm wolle«, fuhr Karl ernst fort, »genug, die ganze Familie ist vor lauter Geist und Schwächlichkeit aufgebrannt wie ein Meteor, bis auf ihn und eine Schwester, denen die Totenblumen auch bereits auf den Wangen stehen. Der arme Junge hat feine Bemerkungen genug machen können. Ihm ist der Tod schon oft recht hart ans Herz gedrungen, und jetzt

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