Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 23)

alle dürfen nicht bestimmen, wieviel ein wahrhaft christliches und starkes Gemüt aus den niederen Ständen, vor allem eine Frau, zu tragen vermag, so wenig wir die ununterbrochene Kette von Sorgen und Entsagungen ahnen, aus denen ihr Leben fast immer besteht; glauben Sie mir, was man so sieht, ist nichts.«

Der Graf hob das brennende Antlitz und sagte: »Wie, meine gnädige Frau? Ach, verzeihen Sie!«

Er schwieg einige Sekunden wie betäubt; dann fuhr er fort: »Denken Sie, wie ihn das Wasser zurichten wird. Die alte Frau geht gewiß immer an den Strom, bis er ihn ausgespieen hat, und dann kennt sie ihn nicht.« Er stand hastig auf, sagte nochmals »Verzeihen Sie« und ging hinaus.

Die Frau von Brenkfeld sah ihm verwundert nach und sagte dann: »Ist das Krankheit oder Eigensinn?«

»Beides«, entgegnete Karl phlegmatisch, und so ging das Gespräch fort zwischen Menschen, die man gut nennen mußte, in scharfen Strichen, oft ungerecht, immer verfehlt, über ein Gemüt, das man nicht leise genug hätte berühren können und das bei der durchsichtigsten Klarheit dennoch an ewig mißverstandenen Gefühlen verglühen mußte.

Frau von Brenkfeld sagte eben: »Ich sehe täglich mehr ein, wie dankbar ich Gott dafür sein muß, daß ich zwischen sieben Schwestern geboren bin, und zwar so recht mitten in, weder die älteste noch die jüngste«, als Marie angstvoll hereineilend rief: »O Mutter, der Graf sitzt auf der Altane und ist schneeweiß.«

»Mein Gott«, sagte Frau von Brenkfeld, »sollte ihm unwohl werden?«

»Jawohl«, versetzte Marie, »er hat den Kopf auf den steinernen Tisch gelegt und sah mich gar nicht.«

Man eilte hinaus, der Graf wollte noch mit einigen mühsamen, verwirrten Worten seine offenbare Schwäche verleugnen, aber die Sinne schienen ihn immer mehr zu verlassen. Bald ließ er sich geduldig und unter Anstrengung seiner letzten Besinnung, noch etwas Beruhigendes zu sagen, zu seiner Stube mehr tragen als führen. Nach einer halben Stunde zeigte sich entschieden ein heftiges Fieber, und der Vormittag verging unter angstvoller Erwartung des Hausarztes, nach dem man sofort geschickt hatte.

*

»Was sagen Sie zu dem Kranken?« fragte Frau von Brenk­feld den wieder Hereintretenden. Der Doktor Topp­mann langte langsam seinen Hut vom Spiegeltisch neben dem Blumentischchen, und bedächtig: »Ein wenig Bluthusten mit dem hergebrachten Fieber dazu«, sagte er; »nicht viel; ich kenne seine Konstitution zu wenig, und mit ihm reden kann man nicht, da er ganz irre ist.«

»Mein Gott, seit wann?« rief Frau von Brenkfeld; »davon weiß ich ja nichts.«

»Es soll auch früher nicht gewesen sein«, entgegnete der Doktor, »erst seit er jetzt erwacht ist.«

»Das ist ja höchst traurig«, versetzte Frau von Brenkfeld hastig.

»Er wird doch, um Gottes willen, nicht gar sterben können?«

Doktor Toppmann schnitt seine seltsamsten Gesichter und sagte:

»Wir können alle sterben; übrigens so etwas muß man nicht eher denken, als bis das Gegenteil unmöglich ist.«

»Keineswegs«, fiel Therese ein, »ich bitte sehr, täuschen Sie uns hierin nicht.«

Toppmann kniff das linke Auge zu und fragte: »Warum denn das?«

»Man ist doch sorgsamer«, versetzte Therese; »man weiß doch auf jeden Fall, was man zu tun hat.«

»Was hat man denn zu tun?« fragte Toppmann.

»Ach Gott«, entgegnete Therese, »wir haben noch tausend andere Gründe,

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