Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 24)
bleiben Sie doch bei der Sache!« Toppmann schwieg ein Weilchen, dann sagte er ernst und zu allen Anwesenden gewandt: »Ich weiß, Sie werden nichts versäumen, was in Ihren Kräften und Wissen steht; deshalb halten Sie die Stube kühl, aber vor allem ohne Zugwind, und sorgen Sie, daß die Arznei ordentlich genommen wird; auch darf der Patient vorerst nicht allein gelassen werden. Morgen früh komme ich wieder, wenn nichts Besonderes früherhin vorfällt.«
Er machte eine Verbeugung und wollte fortgehen; dann wandte er sich aber um und sagte: »Notabene, nähern Sie sich ihm nicht mehr als unumgänglich nötig; die Sache könnte leicht nervös sein.«
Er verbeugte sich nochmals und ging hinaus.
Karl sagte: »Ich glaube, ich kann mich gelegentlich noch jedes Wortes erinnern, das ich den Toppmann mein Leben lang habe reden hören; das macht das unvergeßliche Mienenspiel, dem die Worte wie angegossen sind, oder vielmehr umgekehrt.«
»Er redet wohl auch überall sehr wenig«, versetzte die Mutter; »heute war er nach seiner Art recht los.«
»Therese hat ihn auch ehrlich geschraubt«, entgegnete Karl und sah nach Theresen, die eben mit den Zeichen der äußersten Unruhe das Zimmer verließ. Karl fuhr fort: »Ich habe mir mal eine Sammlung von den verschiedenen Abarten seines Grundgesichtes machen wollen, vor Zeiten, ehe ich nach Göttingen ging, und machte deshalb einen Strich auf ein dazu bestimmtes Papier, sooft ich etwas Neues zu entdecken glaubte, verwirrte mich jedoch dermaßen, daß ich es nur bis auf etwa vierzehn bringen konnte, und ich muß gestehen, daß dies scharfe Merken auf allerhand Verzerrungen in Phantasie und Wirklichkeit, dem ich mich hierdurch nach und nach mit wahrer Leidenschaft ergab, mir endlich anfing eine Schwäche und solche dumpfe Zerstreutheit zuzuziehen, daß ich dies für eine der gefährlichsten Beschäftigungen halte. Ich begreife nur nicht, wie die Karikaturmaler vor dem Tollhause vorbeikommen.«
»Es ist eine alte Erfahrung«, versetzte Frau von Brenkfeld, »daß dergleichen Künstler, die Satiriker in Literatur und Leben und die berühmtesten Buffonen der Theater mit eingerechnet, gewöhnlich mindestens sehr hypochondrisch sind.«
Ledwina hatte sich unter diesen Gesprächen leise hinaus und ins Freie geschlichen, um einen sie überwältigenden so körperlichen als geistigen Druck zu verhehlen, vielleicht zu lindern. Es zog sie gewaltsam zu dem Ufer des Flusses, als sei noch etwas zu retten, und tausend wunderbare Möglichkeiten, die nur für sie so heißen konnten, tanzten in greulichen Bildern um ihr brennendes Haupt. Bald sah sie den Verlorenen, wie ein Dornstrauch das blasse Gesicht noch an einem Teile seines Haares über dem Wasser erhielt, während der andere vom Haupte gerissen an den schwankenden Zweigen des Strauches wehte; seine blutenden Glieder wurden in grausamem Takte von den Wellen an das steinichte Ufer geschleudert. Er lebte noch, aber seine Kräfte waren hin, und er mußte harren in gräßlicher Todesangst, bis der Wellenstoß das letzte Haar zerrissen. Bald ein anderes gleich gräßliches und angstvolles Gesicht. Sie schmiegte sich leise an die Mauer hin unter dem Fenster, wo ihre Mutter saß, aber die sah weder auf noch um sich, sondern redete rasch und angelegentlich mit Karln über allerhand Dinge, die ihr durchaus gleichgültig waren, um die