Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 19)
Brücke dort«, versetzte der Verwalter. »Eine Brücke«, sagte der Fremde wie gelähmt, ließ ihn los und gesellte sich in höchster Angst zu den Suchenden. »Hier habe ich etwas«, rief einer und warf ein weißes Ding ans Ufer, was man als die Mütze des Verlorenen erkannte. Man suchte hier emsiger, aber die Haken fuhren vergebens durch das schäumende Wasser. »Wir finden ihn nicht«, rief ein anderer, ermattet in der frucht- und fast zwecklosen Arbeit, »das Wetter ist zu toll.« – »Das Wasser gibt ihn auch nicht her«, rief wieder einer, »es hat in diesem Jahre noch kein Menschenfleisch gehabt.« – »Nicht?« versetzte ein anderer, und der Fremde sah mit Schrecken, wie nach dieser Bemerkung aller Eifer sichtbar erlosch. Er bot Geld über Geld, und man fuhr ihm zu Gefallen fort zu suchen, aber so mutlos, daß man bald nur noch zum Anschein mit den Stangen und Haken ins Wasser klatschte. Therese hatte indessen das Fenster nicht verlassen.
»Ich höre nichts«, sagte sie jammernd zu Ledwina gewandt, die sie zum Schrecken halb angekleidet und im Begriff aus dem Bette zu steigen sah. Sie schloß das Fenster schnell und drängte die zitternde Schwester in das Bett zurück, worin sich diese jedoch bald ergab mit dem Beding der schnellsten Mitteilung aller Nachrichten. Therese versprach alles und meinte, mit ihrem Gewissen wohl auszukommen. Sie hatte sich mit großer Kraft gefaßt und redete jetzt viel Tröstliches, geistlich und irdisch, zu Ledwina, daß diese endlich ganz still ward und in der höchsten Ermattung wieder einschlief. Dann ging sie, um ein warmes Zimmer und Bette für den Fremden zu besorgen, der endlich nach mehreren Stunden durch und durch erfroren und innerlich bebend einzog. Dann legte sie sich selbst nieder, ob der Morgen ihr vielleicht noch einige Erholung schenken wolle, da der Tag sie wieder in ihrer ganzen Kraft forderte, nachdem sie eine Zofe neben Ledwinens Gemach gebettet hatte.
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Es hatte sieben geschlagen, als Minchen auf den Zehen in die Kammer schlich und das Fräulein ihr schon völlig gekleidet entgegentrat.
»Was gibts, Minchen?« sagte sie bewegt und heftete die letzte Nadel.
»Der fremde Herr ist ganz munter«, antwortete das Mädchen.
»Aber der Bote?« fragte Ledwina.
»Das weiß Gott«, versetzte Minchen dann, und beide schwiegen. »Man braucht sich nicht viel Gutes zu denken«, sagte Minchen und fing bitterlich an zu weinen. Ledwina sah starr vor sich nieder und fragte: »Weiß man nicht, wer es gewesen ist?«
»Freilich wohl«, versetzte das schluchzende Mädchen, »es ist ja der Klemens von der alten Lisbeth; o mein Gott, was soll sich das arme alte Mensch haben!« und weinte ganz laut.
Ledwina setzte sich auf das Bett und legte das Gesicht in die weißen Kissen, dann erhob sie sich schneeweiß und sagte: »Ja, Gott muß es wissen«, nahm ihr Schnupftuch vom Tische und ging langsam hinaus. Im Wohnzimmer war alles um das Frühstück versammelt, da Ledwina hereintrat. Der fast zu blendend schöne Fremde stand auf und verbeugte sich. Karl sagte vornehm und höflich: »Das ist meine älteste Schwester«, und zu Ledwinen: »Der Graf Hollberg.« Man saß wieder um den spendenden Tisch, und