Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 33)

dazwischen.

»Und eigentlich«, sagte Julie, »ist er Louis' Ideal und nicht das meinige.«

»Ideal will viel sagen«, antwortete Louis, »ich kann, gottlob! noch höher hinauf denken, aber daß ich Anteil an dem Wengenberg nehme, das finde ich sehr natürlich und nur wunderbar, daß ich der einzige in unserem Hause bin; die Musik ist doch sonst eine Sprache, die sogar Kinder und Wilde verstehen.«

»Für welches von beiden hältst du mich denn?« fragte Julie. Louis neigte zu ihr und sagte leise: »Für ein Kind und wild dazu.«

Julie sprang rasch auf und griff ihn mit großer Schnelligkeit an. Louis wollte sich verteidigen, aber die Schläge fielen wie Schneeflocken auf Wangen und Schultern und Rücken, daß Louis, den Kopf zwischen die Schultern gedrückt, bald diesen, bald jenen der Gesellschaft vergebens vorschob und nur endlich am Sofa neben den Frauen Ruhe fand. Dabei rief sie: »Nach Erlenburg solltest du ziehen, dahin gehörst du, du Troubador, du Mondhase!« Der kleine Krieg war geendigt. Louis schöpfte Atem. Julie sah auf ihre rotgewordenen Händchen und trat vor den Baron Warneck.

»Seien Sie nicht böse, ich habe Sie tüchtig gestoßen. Warum machen Sie sich zur Mauer? Die muß nieder, wenn der Feind dahinter steckt.«

Warneck sah in das zarte, glühende Antlitz, und eine leise Bewegung zuckte über sein Gesicht. Er senkte seine scharfen Blicke in ihre Augen und sagte: »Sollte Fräulein Julie sich selbst so wenig kennen?«

Dann wandte er sich rasch zu den übrigen.

Der Wagen fuhr vor, und die schönen reichgezäumten Reitpferde scharrten ungeduldig auf dem Pflaster. Die Reiter ließen sie die schönste Fensterparade machen, und der Besuch war zu Ende.

*

»Der Klemens kann doch seine eigene Schande nicht verschweigen«, hub Karl an zu seinen Schwestern, indem sie dem Zuge durch die Scheiben nachblickten. »Wißt ihr, was das Necken mit seiner Röte bedeutet? Er hat sich auf dem Felde von einem hübschen Bauernmädchen eine tüchtige Maulschelle geholt, und wie er es recht betrachtet, da wird es ihm so lächerlich, daß er es nicht verschweigen kann. So macht er es immer. Er ist eigentlich nicht schlimmer als andere Leute, aber er sagt immer alles Üble, was er von sich selber weiß, und noch einiges andere dazu, woran er nicht denkt.«

»Mir ist er sehr fatal«, versetzte Therese.

Die Mutter saß indes an dem andern Fenster und dachte an die arme, gedrückte Nachbarin, Mutter und Gattin und doch verwaist, und sah sie im Geiste schleichen, alt und verkümmert, in dem dürren, rasselnden Laube ihrer liebsten, letzten Hoffnungen. Sie dachte an ihre eigenen Kinder, an ihre Zucht, ihren Gehorsam, ihre kindliche Sorgfalt, und ihr Herz ward vor Rührung durch und durch weich in Wehmut und Reue. Sie nahm ein Gebetbuch aus der Lade des Tisches und ging hinaus in ihre Kammer.

Karl unterhielt indessen Therese von dem Zustande des Patienten, der ihm sehr beruhigend schien. Der Kranke war völlig bei Sinnen und hatte mehrere Stunden sehr fest geschlummert. »Ich bitte dich«, sagte Therese, »nimm dich seiner doch recht an; wir können es nicht.«

Karl entgegnete noch manches, und Therese wurde zerstreut; denn sie hatte Ledwinen soeben über den Vorhof in

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