Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 10)
ihrige Kind erschien, und doch konnte sie eben hier ohne die äußere Taktlosigkeit nichts sagen.
Karl begriff ihre Gefühle auch jetzt nur so im groben, in der ersten Entstehung und folgte ihnen gar nicht. Er ging auf und ab, rauchte und war noch etwas verdutzt, aber völlig ruhig.
Ledwina hätte wohl alles dieses am empfindlichsten aufgefaßt, aber eine früherhin schmerzlich berührte Saite klang so hell nach, daß sie noch jeden anderen Laut übertönte. Sie konnte überhaupt sehr lange an einem Gedanken zehren und nahm noch oft das Frühstück ein, wenn die anderen schon ein richtiges Mittagsmahl, einen unbedeutenden Tee nebst einer Menge amüsanter Konditorwaren verzehrt hatten und sich nun zur Abendtafel setzten.
Nur Therese, die immer wie der Engel mit dem flammenden Schwerte vor und mit dem Ölzweige über den Ihrigen stand, mußte die ganze Last dieses Augenblicks tragen und suchte angstvoll nach einer klug beschwichtigenden Rede.
»Warum wählst du immer den verdrießlichen Weg am Flusse, Ledwina?« begann die Frau von Brenkfeld gesammelt, da die Stille kein Ende nahm.
»Ich habe den Weg einmal sehr lieb«, versetzte Ledwina. »Ich glaube, das Wasser tut viel dazu.«
»Den Fluß hast du ja auch unter deinem Fenster«, sagte die Mutter, »aber es ist so ein bequemer Gedankenschlender; deshalb geht man auch leicht weiter, wie man sollte.«
»Ich muß gestehen«, sprach Karl, »daß mir die Gegend hier, besonders jetzt, recht erbärmlich vorkommt. Man spaziert wie auf dem Tische, die Gegend vor uns wie hinter uns, oder vielmehr gar keine. Der Himmel über uns und der Sand unter uns.«
»Die Gegend könnte malerisch noch viel schlechter sein, wie sie ist«, sagte Ledwina, »und mir bliebe sie doch lieb; von den Erinnerungen, die in jedem Baume wohnen, will ich gar nicht reden; denn so kann nichts mit ihr verglichen werden; aber so wie sie da steht, und überall, wäre sie mir höchst ansprechend und wert.«
»Chacun à son goût«, versetzte Karl. »Nach deinen eben gemachten Ausnahmen weiß ich nicht, was dich reizt: das stachlichte Heidekraut oder die langweiligen Weidenbäume oder die goldenen Berge, die uns in einer Stunde ein zauberischer Wind schenkt.«
»Die Weiden zum Beispiel«, versetzte Ledwina, und in ihr Gesicht goß sich ein trübes, aber bewegliches Leben, »haben für mich etwas Rührendes; sie zeigen eine sonderbare Verwechslung in der Natur: die Zweige farbicht, die Blätter grau, sie kommen mir vor, wie schöne, aber schwächliche Kinder, denen der Schrecken in einer Nacht das Haar gebleicht. Und überhaupt die tiefe Ruhe auf manchen Flächen dieser Landschaft: keine Arbeit, kein Hirt, nur allerhand große Vögel und das einsam weidende Vieh, daß man nicht weiß, ist man in einer Wildnis oder in einem Lande ohne Trug, wo die Güter keine Hüter kennen als Gott und das allgemeine Gewissen.«
»Es ist nicht schwer«, versetzte Karl lächelnd, »einer Sache, die so viel liebe Seiten hat, auch eine schöne abzugewinnen, aber ich versichere dich, man darf keine zwanzig Meilen reisen, sonst fallen die schönen romantischen Läppchen ab, und was nackt übrig bleibt, ist eine halbe Wüste.«
»Die Wüste«, versetzte Ledwina gleichfalls lächelnd und wie träumend, »die Wüste mag vielleicht große und furchtbare Reize