Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 12)

wie der Brennpunkt einer langen Zeit.«

»Jawohl, allerhand«, versetzte Ledwina erwartend, der in diesem Augenblicke nur eins still bewegend im Sinne lag.

»Ich wollte«, sprach Therese weiter, »der Karl sähe etwas weniger imposant aus, damit er etwas minder geehrt würde. Alles wendet sich an ihn, und die Mutter wird jedesmal rot, wenn er mit der gefälligen Miene sagt: ›Tragt das meiner Mutter vor!‹«

Ledwina hatte, wie vorhin gesagt, den Teil des vorigen Gespräches, auf den sich dieses bezog, völlig überhört, und auch jetzt hielt ihr Geist eine andere Richtung fest. So faßte sie es gar nicht in seinem tiefen Schmerze.

»Ja«, sagte sie noch immer still träumend, »es wurde so vielerlei gesprochen, daß man das erste über dem letzten vergaß. Mich soll wundern, ob Steinheim sich auch verändert hat.« Therese ward feuerrot: »Ich möchte es gar nicht«, fuhr sie fort, »mir scheint immer, er könnte dabei nur verlieren.«

Therese schenkte etwas mühsam eine neue Tasse ein. »Mich dünkt, ich sehe ihn«, hub Ledwina wieder an, »wie er gefragt wird, und wie sofort aus dem lieben frommen Antlitz eine freundliche Antwort spricht; es wird einem ganz ruhig, wenn man eine Zeit lang darauf weilt.« – »Das geht wohl«, sagte Therese in der Angst. Ledwina sah hoch auf.

»Meinst du nicht?« fragte sie ernst.

»O nein«, sagte Therese verwirrter und brach sehr unpassend ab. Aber Ledwina hatte sich aufgerichtet und ihre Hände krampfhaft gefaßt.

»O bitte, bitte«, sagte sie in strenger Angst; »schweig, aber lüg nicht«, und mit einem leisen Ton der tiefsten Wehmut lag Therese an ihrer Brust und weinte und zitterte, daß die Gardine bebte. Ledwina hielt sie fest an sich, und ihr Gesicht war aufgegangen wie ein Mond, der leuchtend über die Schwester wachte. Beide ließen sich nach einer langen lebensreichen Pause und suchten ihre verlorene Fassung, die eine auf der seidenen Bettdecke, die andere an dem Bande des Teetopfes, was sie losknüpfte, statt es fester zu heften; denn es ist eben den besten und herrlichsten Menschen eigen, daß sie sich schämen, wenn ein unbewachter Augenblick verraten hat, wie weich sie sind, indes die Armen im Geiste von jener Art, der nicht der Himmel verheißen ist, es in Ewigkeit nicht vergessen können, wenn sie einmal einen rührenden Gedanken gefunden haben, wie das blinde Huhn die Erbse.

»Ich bin mir oft recht lächerlich und eitel vorgekommen«, hub Therese endlich an, »dir auch?« – Ledwina mußte lachen und sah sie fragend an. Therese fuhr fort: »Allen dunkel und mir allein hell; es ist betrübt, Ledwina, so etwas ganz allein zu merken. Man wird ganz irre. Ich habe immer innerlich glühen müssen, wenn ich diese oder jene unserer Bekannten mit geträumten Eroberungen prunken sah. Es ist so häßlich und so allgemein. Die Bescheidenheit schützt heutzutage gar nicht mehr. Und für mich wär es so traurig. Ach, Ledwina, sollte ich es mir wohl nur einbilden? Ich kann ja auf nichts bauen als auf meinen innigsten Glauben.«

»Baue du dein Haus nur«, sagte Ledwina bewegt, »du hast einen guten Grund, einen verborgenen, aber festen, der nicht unter dir einsinken wird.« – »Er hat mir

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