Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 11)

haben.«

»Kind, du plapperst«, sagte Karl und lachte laut auf.

Ledwina fuhr langsam fort: »So plötzlich hineinversetzt, ohne ähnliche und doch völlig ungleiche Umgebungen zu kennen und hauptsächlich ohne früher von ihnen gelitten zu haben, und nun weithin nichts als die gelbe glimmernde Sandfläche, keine Begrenzung als den Himmel, der niedersteigen muß, um die Unendlichkeit zu hemmen, und nun flammend über ihr steht; statt der Wolken die himmelhohen, wandelnden Glutsäulen, statt der Blumen die farbicht brennenden Schlangen, statt der grünen Bäume die furchtbaren Naturkräfte der Löwen und Tiger, die durch die rauschenden Sandwogen schießen, wie die Delphine durch die schäumenden Fluten – überhaupt muß es dem Ozean gleichen.«

Karl war vor Verwunderung stillgestanden, und dann sagte er mit einem närrischen Gesichte: »Und wenn nun die wandelnden Glutsäulen uns Visite machen oder die Blumen der Wüste uns umkränzen oder die furchtbaren Naturkräfte sich an uns probieren wollen?«

Ledwina fühlte sich widrig erkältet. Sie beugte, ohne zu antworten, nieder, um ein Garnknäuel vom Boden aufzuheben.

»Aber, mein Gott«, rief Frau von Brenkfeld, der durch diese rasche Bewegung ihre noch nicht völlig getrockneten Schuhe sichtbar geworden waren, »du bist ja ganz naß!«

»Ich bin etwas naß«, versetzte Ledwina, ganz herunter von widrigen Empfindungen.

»Und das schon die ganze Zeit«, versetzte die Mutter verweisend. »Leg dich augenblicklich nieder, du weißt es ja in Gottes Namen auch selbst wohl, wie wenig du vertragen kannst.«

»Ja«, sagte Ledwina kurz und stand auf, um in ihrer Empfindlichkeit allen weiteren Reden zu entgehen.

»Daß du dich aber ja niederlegst, und trinke Tee«, rief ihr die Mutter nach.

Sie wendete sich in der Tür um und sagte mit gewaltsamer Freundlichkeit: »Ja, gewiß.« Therese folgte ihr.

*

»Du hast noch nicht getrunken«, sprach Therese sanft verweisend, da sie nach einer Viertelstunde mit einem Glase Wasser von neuem in die Kammer trat und die weislich vor dem Fortgehen eingeschenkte Tasse noch unberührt sah.

»Wenn nun die Mutter käme«, fuhr sie fort; »du weißt wie sie auf ihr Wort hält.«

»Ach Gott, ich habe noch nicht getrunken? Wenn nun die Mutter käme«, wiederholte Ledwina, aus tiefem Sinnen auffahrend, und im Nu reichte sie Theresen die geleerte Tasse.

»Mir ist so heiß«, sagte sie dann, warf unruhig die weißen Gardinen weit zurück und legte die brennenden Hände in der Schwester Schoß.

»Du trinkst zu schnell«, sagte diese. – »Ich wollte, ich dürfte das Glas Wasser trinken«, versetzte Ledwina.

»Trink du deinen Tee, der bekommt dir viel besser«, antwortete Therese mitleidig, »das kannst du deiner Gesundheit wohl opfern, es ist ja nur ein kleiner Wunsch.«

»O, er kommt auch nur oben vom Herzen«, lächelte Ledwina, »und dann setze dich doch recht zu mir und sprich mir etwas vor. Das Bettliegen ist so fatal; es ist noch lange nicht dunkel, und dann die lange Nacht!«

Therese setzte sich auf den Rand des Bettes und seufzte unwillkürlich recht tief. Ledwina lächelte von neuem und sehr freundlich, fast freudig.

»Der heutige Tag«, sagte Therese dann tiefsinnig, »ist äußerlich so unbedeutend gewesen und doch innerlich so reich; es ist so viel durchgedacht und auch wohl ausgesprochen worden, was in Jahren hat nicht zu der Klarheit kommen können,

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