Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 108)

auch noch nicht das Schlimmste gewesen. Aber er konnte mehr. Sehen Sie den Christus. Wohl jedem, der drau­ßen war, und zu dem die Welt mal in andern Zungen redete! Hier blüht der Bilderbogen, Türke links, Russe rechts. Ach, Lorenzen, es ist traurig, hier versauern zu müssen.«

Als er so gesprochen, ließ er sich, vor sich hinstarrend, in die Sofaecke nieder, ganz wie in andre Zeiten verloren, und sah erst wieder auf, als ein junges Ding ins Zimmer trat, groß und schlank und blond, und dem Pastor verlegen und errötend etwas zuflüsterte.

»Meine gute Frau Kulicke«, sagte Lorenzen, »läßt eben fragen, ob wir unsern Imbiß im Nebenzimmer nehmen wollen? Ich möchte beinahe glauben, es ist das beste, wir bleiben hier. Es heißt zwar, ein Eßzimmer müsse kalt sein. Nun, das hätten wir nebenan. Ich persönlich finde jedoch das Temperierte besser. Aber ich bitte, bestimmen zu wollen, Herr Superintendent.«

»Temperiert. Mir aus der Seele gesprochen. Also wir bleiben, wo wir sind ... Aber sagen Sie mir, Lorenzen, wer war das entzückende Geschöpf? Wie ein Bild von Knaus. Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen. Wie alt ist sie denn?«

»Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke.«

»Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden sind. Immer solche Menschenblüte zu sehn. Und siebzehn, sagen Sie. Ja das ist das Eigentliche. Sechzehn hat noch ein bißchen von der Eierschale, noch ein bißchen den Einsegnungscharakter, und achtzehn ist schon wieder alltäglich. Achtzehn kann jeder sein. Aber siebzehn. Ein wunderbarer Mittelzustand. Und wie heißt sie?«

»Elfriede.«

»Auch das noch.«

Lorenzen wiegte den Kopf und lächelte.

»Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wissen nicht, wie gut Sie’s haben in dieser Ihrer Waldpfarre. Was ich hier sehe, heimelt mich an, das ganze Dorf, alles. Wenn ich mir da beispielsweise den Tisch wieder vergegenwärtige, dran wir, drüben im Krug, vor einer halben Stunde gesessen haben, an der linken Seite dieser Krippenstapel (er sei, wie er sei) und an der rechten Seite dieser Rolf Krake. Das sind ja doch lauter Größen. Denn das Groteske hat eben auch seine Größen, und nicht die schlechtesten. Und dazu dieser Katzler mit seiner Ermyntrud. All das haben Sie dicht um sich hier und dazu dies Kind, diese Elfriede, die hoffentlich nicht Kulicke heißt – sonst bricht freilich mein ganzes Begeisterungsgebäude wieder zusammen. Und nun nehmen Sie mich, Ihren Superintendenten, das große Kirchenlicht dieser Gegenden! Alles nackte Prosa, widerhaarige Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht verzeihen können, daß ich im Haag war und mit einer Großfürstin über Land fahren konnte. Glauben Sie mir, Großfürstinnen, selbst wenn sie Mängel haben (und sie haben Mängel), sind mir immer noch lieber als das Landesgewächs von Quaden-Hennersdorf, und mitunter ist mir zumut, als gäbe es keine Weltordnung mehr.«

»Aber Herr Superintendent ...«

»Ja, Lorenzen, Sie setzen ein überraschtes Gesicht auf und wundern sich, daß einer, für den die hohe Klerisei so viel getan und ihn zum Superintendenten in der ge­seg­neten Mittelmark und der noch gesegneteren Grafschaft Ruppin gemacht hat, – Sie wundern sich, daß solch zehnmal Glücklicher solchen Hochverrat redet. Aber bin ich ein Glücklicher? Ich bin ein Unglücklicher ...«

»Aber Herr Superintendent ...«

»... Und möchte,

Seiten