Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 111)
glücklich bin ich, daß du wieder da bist«, sagte Ermyntrud. »Ich habe mich recht gebangt, diesmal nicht um dich, sondern um mich. Ich muß dies egoistischerweise gestehen. Es waren recht schwere Stunden für mich, die ganze Zeit, daß du fort warst.«
Er küßte ihr die Hand und führte sie wieder auf ihren Platz zurück. »Du darfst nicht stehen, Ermyntrud. Und nun bist du auch wieder bei der Stickerei. Das strengt dich an und hat, wie du weißt, auf alles Einfluß. Der gute Doktor sagte noch gestern, alles sei im Zusammenhang. Ich seh’ auch, wie blaß du bist.«
»Oh, das macht der Schirm.«
»Du willst es nicht wahrhaben und mir nichts sagen, was vielleicht wie Vorwurf klingen könnte. Ich mache mir aber den Vorwurf selbst. Ich mußte hier bleiben und nicht hin zu dieser Stechliner Wahlversammlung.«
»Du mußtest hin, Wladimir.«
»Ich rechne es dir hoch an, Ermyntrud, daß du so sprichst. Aber es wäre schließlich auch ohne mich gegangen. Koseleger war da, der konnte das Präsidium nehmen so gut wie ich. Und wenn der nicht wollte, so konnte Torfinspektor Etzelius einspringen. Oder vielleicht auch Krippenstapel. Krippenstapel ist doch zuletzt der, der alles macht. Jedenfalls liegt es so, wenn es der eine nicht ist, ist es der andre.«
»Ich kann das zugeben, wie könnte sonst die Welt bestehen? Es gibt nichts, was uns so Demut predigte wie die Wahrnehmung von der Entbehrlichkeit des einzelnen. Aber darauf kommt es nicht an. Worauf es ankommt, das ist Erfüllung unsrer Pflicht.«
Katzler, als er dies Wort hörte, sah sich nach einem Etwas um, das ihn in den Stand gesetzt hätte, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Aber, wie stets in solchen Momenten, das, was retten konnte, war nicht zu finden, und so sah er denn wohl, daß er einem Vortrage der Prinzessin über ihr Lieblingsthema »von der Pflicht« verfallen sei. Dabei war er eigentlich hungrig.
Ermyntrud wies auf ein Taburett, das sie mittlerweile neben ihren Sofaplatz geschoben, und sagte: »Daß ich immer wieder davon sprechen muß, Wladimir. Wir leben eben nicht in der Welt um unsert–, sondern um andrer willen. Ich will nicht sagen um der Menschheit willen, was eitel klingt, wiewohl es eigentlich wohl so sein sollte. Was uns obliegt, ist nicht die Lust des Lebens, auch nicht einmal die Liebe, die wirkliche, sondern lediglich die Pflicht ...«
»Gewiß, Ermyntrud. Wir sind einig darüber. Es ist dies außerdem auch etwas speziell Preußisches. Wir sind dadurch vor andern Nationen ausgezeichnet, und selbst bei denen, die uns nicht begreifen oder übelwollen, dämmert die Vorstellung von unsrer daraus entspringenden Überlegenheit. Aber es gibt doch Unterschiede, Grade. Wenn ich statt zu der Stechliner Wählerversammlung lieber zu Doktor Sponholz oder zur alten Stinten in Kloster Wutz (die ja schon früher einmal dabei war) gefahren wäre, so wäre das doch vielleicht das Bessere gewesen. Es ist ein Glück, daß es noch mal so vorübergegangen. Aber darauf darf man nicht in jedem Falle rechnen.«
»Nein, darauf darf man nicht in jedem Falle rechnen. Aber man darf darauf rechnen, daß, wenn man das Pflichtgemäße tut, man gleich auch das Rechte tut.