Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 112)
Es hängt so viel an der Wahl unsers alten trefflichen Stechlin. Er steht außerdem sittlich höher als Kortschädel, dem man, trotz seiner siebzig, allerhand nachsagen durfte. Stechlin ist ganz intakt. Etwas sehr Seltenes. Und einem sittlichen Prinzip zum Siege zu verhelfen, dafür leben wir doch recht eigentlich. Dafür lebe wenigstens ich.«
»Gewiß, Ermyntrud, gewiß.«
»In jedem Augenblicke seiner Obliegenheiten eingedenk sein, ohne erst bei Neigung oder Stimmung anzufragen, das hab’ ich mir in feierlicher Stunde gelobt, du weißt, in welcher, und du wirst mir das Zeugnis ausstellen, daß ich diesem Gelöbnis nachgekommen ...«
»Gewiß, Ermyntrud, gewiß. Es war unser Fundament ...«
»Und wenn es sich um eine sittliche Pflicht handelt, wie doch heute ganz offenbar, wie hätt’ ich da sagen wollen: bleibe. Ich wäre mir klein vorgekommen, klein und untreu.«
»Nicht untreu, Ermyntrud.«
»Doch, doch, es gibt viele Formen der Untreue. Das Persönliche hat sich der Familie zu bequemen und unterzuordnen und die Familie wieder der Gesellschaft. In diesem Sinne bin ich erzogen, und in diesem Sinne tat ich den Schritt. Verlange nicht, daß ich in irgend etwas diesen Schritt zurücktue.«
»Nie.«
Das kleine Dienstmädchen, eine Heideläufertochter, deren storres Haar, von keiner Bürste gezähmt, immer weit abstand, erschien in diesem Augenblicke, meldend, daß sie das Teezeug gebracht habe.
Katzler nahm seiner Frau Arm, um sie bis in das zweite, nach dem Hof hinaus gelegene Zimmer zu führen. Als er aber wahrnahm, wie schwer ihr das Gehen wurde, sagte er: »Ich freue mich, dich so sprechen zu hören. Immer du selbst. Ich bin aber doch in Unruhe und will morgen früh zur Frau schicken.«
Sie nickte zustimmend, während ein halb zärtlicher Blick den guten Katzler streifte, der, solange das ihm nur zu wohlbekannte Gespräch über Pflicht gedauert hatte, von Minute zu Minute verlegener geworden war.
Neunzehntes Kapitel
Und nun war Wahltagmorgen. Kurz vor acht erschien Lorenzen auf dem Schloß, um in Dubslavs schon auf der Rampe haltenden Kaleschwagen einzusteigen und mit nach Rheinsberg zu fahren. Der Alte, bereits gestiefelt und gespornt, empfing ihn mit gewohnter Herzlichkeit und guter Laune. »Das ist recht, Lorenzen. Und nun wollen wir auch gleich aufsteigen. Aber warum haben Sie mich nicht an Ihrem Pfarrgarten erwartet? Muß ja doch dran vorüber« – und dabei schob er ihm voll Sorglichkeit eine Decke zu, während die Pferde schon anrückten. »Übrigens freut es mich trotzdem (man widerspricht sich immer), daß Sie nicht so praktisch gewesen und doch lieber gekommen sind. Es is ’ne Politesse. Und die Menschen sind jetzt so schrecklich unpoliert und geradezu unmanierlich ... Aber lassen wir’s; ich kann es nicht ändern, und es grämt mich auch nicht.«
»Weil Sie gütig sind und jene Heiterkeit haben, die, menschlich angesehn, so ziemlich unser Bestes ist.«
Dubslav lachte. »Ja, so viel ist richtig; Kopfhängerei war nie meine Sache, und wäre das verdammte Geld nicht ... Hören Sie, Lorenzen, das mit dem Mammon und dem Goldnen Kalb, das sind doch eigentlich alles sehr feine Sachen.«
»Gewiß, Herr von Stechlin.«
»... Und wäre das verdammte Geld nicht, so hätt’ ich den Kopf noch weniger hängen lassen, als ich getan. Aber das Geld. Da war, noch unter Friedrich Wilhelm III.,