Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 211)
mein Zimmer und meinen Rollstuhl gebunden bin. Aber trotzdem; ich mag ihn nicht. Es war eine Dummheit von Sponholz, sich grade diesen auszusuchen, solchen Allerneuesten, der nach Sozialdemokratie schmeckt und dabei seinen Stock so sonderbar anfaßt, immer grad in der Mitte. Und dazu auch noch ’nen roten Schlips.«
»Es sind aber schwarze Käfer drin.«
»Ja, die sind drin, aber ganz kleine. Das machen sie so, damit es nicht jeder gleich merkt, wes Geistes Kind so einer ist und wohin er eigentlich gehört. Aber ich merk’ es doch, auch wenn er an Kaiser Wilhelms Geburtstag mit ’ner papiernen Kornblume kommt. Also du sagst ihm, ich sei nicht da.«
Engelke widersprach nicht, hatte jedoch so seine Gedanken dabei. »Der alte Doktor ist weg, und den neuen will er nicht. Und den aus Wutz will er auch nich, weil der so viel mit der Domina zusammenhockt. Un dabei kommt er doch immer mehr runter. Er denkt: ›Es is noch nich so schlimm.‹ Aber es is schlimm. Is genauso wie mit Bäcker Knaack. Un Kluckhuhn sagte mir schon vorige Woche: ›Engelke, glaube mir, es wird nichts; ich weiß Bescheid.‹«
Das war am Montag. Am Freitag fuhr Moscheles wieder vor und verfärbte sich, als Engelke sagte, der gnädige Herr sei nicht da.
»So, so. Nicht da.«
Das war doch etwas stark. Moscheles stieg also wieder auf seinen Wagen und bestärkte sich, während er nach Gransee zurückfuhr, in seinen durchaus ablehnenden Anschauungen über den derzeitigen Gesellschaftszustand. »Einer ist wie der andre. Was wir brauchen, is ein Generalkladderadatsch, Krach, Tabula rasa.« Zugleich war er entschlossen, von einem erneuten Krankenbesuch abzustehen. »Der gnäd’ge Herr auf, von und zu Stechlin kann mich ja rufen lassen, wenn er mich braucht. Hoffentlich unterläßt er’s.«
Dieser Wunsch erfüllte sich denn auch. Dubslav ließ ihn nicht rufen, wiewohl guter Grund dazu gewesen wäre, denn die Beschwerden wuchsen plötzlich wieder, und wenn sie zeitweilig nachließen, waren die geschwollenen Füße sofort wieder da. Engelke sah das alles mit Sorge. Was blieb ihm noch vom Leben, wenn er seinen gnäd’gen Herrn nicht mehr hatte? Jeder im Haus mißbilligte des Alten Eigensinn, und Martin, als er eines Tages vom Stall her in die nebenan gelegene niedrige Stube trat, wo seine Frau Kartoffeln schälte, sagte zu dieser: »Ick weet nich, Mutter, worüm he den jungschen Dokter rutgrulen däd. De Jungsche is doch klöger, as de olle Sponholz is. Doa möt man blot de Globsower über Sponholzen hüren. ›Joa, oll Sponholz‹, so seggen se, ›de is joa so wiet ganz good, awers he seggt man ümmer: Kinnings, krank is he egentlich nich, he brukt man blot ’ne Supp mit en beten wat in!‹ Joa, Sponholz, de kann so wat seggen, de hett wat da to. Awers de Globsower! Wo salln de ’ne Supp herkregen mit en beten wat in?«
So verging Tag und Tag, und Dubslav, dem herzlich schlecht war, sah nun selber, daß er sich in jedem Punkt übereilt hatte. Moscheles war doch immerhin ein richtiger Stellvertreter gewesen, und wenn er jetzt einen andern nahm, so traf das Sponholzen auch mit. Und das mocht’ er nicht.