Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 227)
ich sonst grade brauche, und du alte Seele kannst ausschlafen. Ach, Engelke, das Leben is doch eigentlich schwer. Das heißt, wenn’s auf die Neige geht; vorher is es soweit ganz gut. Weißt du noch, wenn wir von Brandenburg nach Berlin ritten? In Brandenburg war nich viel los; aber in Berlin, da ging es.«
»Ja, gnäd’ger Herr. Aber nu kommt es.«
»Ja, nu kommt es. Nu is Katzenpfötchen dran. So was gab es damals noch gar nicht. Aber ich will nichts sagen, sonst wird die Buschen ärgerlich, und mit alten Weibern muß man gut stehn; das is noch wichtiger als mit jungen. Und, wie gesagt, die Agnes bleibt. Ich sehe so gern was Zierliches. Es is ein reizendes Kind.«
»Ja, das is sie. Aber ...«
»Ach, laß die ›Abers‹. Du sagst, sie wird wie die Karline. Möglich is es. Aber vielleicht wird sie auch ’ne Nonne. Man kann nie wissen.«
Agnes blieb also bei Dubslav. Sie saß am Fenster und strickte. Mal in der Nacht, als ihm recht schlecht war, hatte er nach dem Kinde rufen wollen. Aber er stand wieder davon ab. »Das arme Kind, was soll ich ihm den Schlaf stören? Und helfen kann es mir doch nicht.«
So verging eine Woche. Da sagte der alte Dubslav: »Engelke, das mit der Agnes, das kann ich nich mehr mit ansehn. Sie sitzt da jeden Morgen und strickt. Das arme Wurm muß ja hier umkommen. Und alles bloß, weil ich alter Sünder ein freundliches Gesicht sehn will. Das geht so nich mehr weiter. Wir müssen sehn, daß wir was für das Kind tun können. Haben wir denn nicht ein Buch mit Bildern drin oder so was?«
»Ja, gnäd’ger Herr, da sind ja noch die vier Bände, die wir letzte Weihnachten bei Buchbinder Zipfel in Gransee haben einbinden lassen. Eigentlich war es bloß ’ne ›Landwirtschaftliche Zeitung‹, und alle, die mal ’nen Preis gewonnen haben, die waren drin. Und Bismarck war auch drin un Kaiser Wilhelm auch.«
»Ja, ja, das is gut; das gib ihr. Und brauchst ihr auch nich zu sagen, daß sie keine Eselsohren machen soll; die macht keine.«
Wirklich, die »Landwirtschaftliche Zeitung« lag am andern Morgen da, und Agnes war sehr glücklich, mal was andres zu haben als ihr Strickzeug, und die schönen Bilder ansehn zu können. Denn es waren auch Schlösser drin und kleine Teiche, drauf Schwäne fuhren, und auf einem Bilde, das eine Beilage war, waren sogar Husaren. Engelke brachte jeden Morgen einen neuen Band, und mal erschien auch Elfriede, die Lorenzen, um nach Dubslavs Befinden fragen zu lassen, von der Pfarre herübergeschickt hatte. »Die kann sich ja die Bilder mit ansehen«, sagte Dubslav; »am Ende macht es ihr selber auch Spaß, und vielleicht kann sie dem kleinen Ding, der Agnes, alles so nebenher erklären, und dann is es so gut wie ’ne Schulstunde.«
Elfriede war gleich dazu bereit. Und nun standen die beiden Kinder nebeneinander und blätterten in dem Buch, und die Kleine sog jedes Wort ein, was die Große sagte. Dubslav aber hörte zu und wußte nicht, wem von beiden er ein größeres Interesse zuwenden sollte.