Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 36)
Herr Hauptmann. Winterlang haben sie so dagesessen und gearbeitet oder auch geschlafen. Und nun kommt der Frühling, und das erwachende neue Leben ergreift auch die Bienen, am mächtigsten aber die Klasse eins, die Königin. Und sie beschließt nun, mit ihrem ganzen Volk einen Frühlingsausflug zu machen, der sich für sie persönlich sogar zu einer Art Hochzeitsreise gestaltet. So muß ich es nennen. Unter den vielen Drohnen nämlich, die ihr auf der Ferse sind, wählt sie sich einen Begleiter, man könnte sagen einen Tänzer, der denn auch berufen ist, alsbald in eine noch intimere Stellung zu ihr einzurücken. Etwa nach einer Stunde kehrt die Königin und ihr Hochzeitszug in die beengenden Schranken ihres Staates zurück. Ihr Dasein hat sich inzwischen erfüllt. Ein ganzes Geschlecht von Bienen wird geboren, aber weitere Beziehungen zu dem bewußten Tänzer sind ein für allemal ausgeschlossen. Es ist das gerade das, was ich vorhin als fein und vornehm bezeichnet habe. Bienenköniginnen lieben nur einmal. Die Bienenkönigin liebt und stirbt.«
»Und was wird aus der bevorzugten Drohne, aus dem Prinzessinnen-Tänzer, dem Prince-Consort, wenn dieser Titel ausreicht?«
»Dieser Tänzer wird ermordet.«
»Nein, Herr Lehrer Krippenstapel, das geht nicht. Unter dieser letzten Mitteilung bricht meine Begeisterung wieder zusammen. Das ist ja schlimmer als der Heinesche Asra. Der stirbt doch bloß. Aber hier haben wir Ermordung. Sagen Sie, Rex, wie stehen Sie dazu?«
»Das monogamische Prinzip, woran doch schließlich unsre ganze Kultur hängt, kann nicht strenger und überzeugender demonstriert werden. Ich finde es großartig.«
Czako hätte gern geantwortet; aber er kam nicht dazu, weil in diesem Augenblicke Dubslav darauf aufmerksam machte, daß man noch viel vor sich habe. Zunächst die Kirche. »Seine Hochwürden, der wohl eigentlich dabei sein müßte, wird es nicht übelnehmen, wenn wir auf ihn verzichten. Aber Sie, Krippenstapel, können Sie?«
Krippenstapel wiederholte, daß er Zeit vollauf habe. Zudem schlug die Schuluhr, und gleich beim ersten Schlage hörte man, wie’s drinnen in der Klasse lebendig wurde und die Jungens in ihren Holzpantinen über den Flur weg auf die Straße stürzten. Draußen aber stellten sie sich militärisch auf, weil sie mittlerweile gehört hatten, daß der gnädige Herr gekommen sei.
»Morgen, Jungens«, sagte Dubslav, an einen kleinen Schwarzhaarigen herantretend. »Bist von Globsow?«
»Nein, gnäd’ger Herr, von Dagow.«
»Na, lernst auch gut?«
Der Junge griente.
»Wann war denn Fehrbellin?«
»18. Juni.«
»Und Leipzig?«
»18. Oktober. Immer 18. bei uns.«
»Das ist recht, Junge ... Da.«
Und dabei griff er in seinen Rock und suchte nach einem Nickel. »Sehen Sie, Hauptmann, Sie sind ein bißchen ein Spötter, soviel hab’ ich schon gemerkt; aber so muß es gemacht werden. Der Junge weiß von Fehrbellin und von Leipzig und hat ein kluges Gesicht und steht Red’ und Antwort. Und rote Backen hat er auch. Sieht er aus, als ob er einen Kummer hätte oder einen Gram ums Vaterland? Unsinn. Ordnung und immer feste. Na, solange ich hier sitze, solange hält es noch. Aber freilich, es kommen andre Tage.«
Woldemar lächelte.
»Na«, fuhr der Alte fort, »will mich trösten. Als der Alte Fritz zu sterben kam, dacht’ er auch, nu ginge die Welt unter. Und sie steht immer noch, und wir Deutsche sind wieder