Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 66)

meinen, wenn ich Sie recht verstehe, wer es war, der diese ältere Komtesse heiratete. Nun dieser glücklich Unglückliche – oder vielleicht auch umgekehrt – war auch Graf, sogar ein italienischer (vorausgesetzt, daß Sie dies als eine Steigerung ansehn), und hatte natürlich ­einen echt italienischen Namen: Conte Ghiberti, derselbe Name wie der des florentinischen Bildhauers, von dem die berühmten Türen herrühren.«

»Welche Türen?«

»Nun, die berühmten Baptisteriumtüren in Florenz, von denen Michelangelo gesagt haben soll, ›sie wären wert, den Eingang zum Paradiese zu bilden‹. Und diese Türen heißen denn auch, ihrem großen Künstler zu Ehren, die Ghibertischen Türen. Übrigens eine Sache, von der ein Mann wie Sie was wissen müßte.«

»Ja, Rex, Sie haben gut reden von ›wissen müssen‹. Sie sind aus einem großen Hause, haben mutmaßlich einen frommen Kandidaten als Lehrer gehabt und sind dann auf Reisen gegangen, wo man so feine Dinge wegkriegt. Aber ich! Ich bin aus Ostrowo.«

»Das ändert nichts.«

»Doch, doch, Rex. Italienische Kunst! Ich bitte Sie, wo soll dergleichen bei mir herkommen? Was Hänschen nicht lernt – dabei bleibt es nun mal. Ich erinnere mich noch ganz deutlich einer Auktion in Ostrowo, bei der (es war in einem kommerzienrätlichen Hause) schließlich ein roter Kasten zur Versteigerung kam, ein Kasten mit Doppelbildern und einem Opernkucker dazu, der aber keiner war. Und all das kaufte sich meine Mutter. Und an diesem Stereoskopenkasten, ein Wort, das ich damals noch nicht kannte, habe ich meine italienische Kunst gelernt. Die ›Türen‹ waren aber nicht dabei. Was können Sie da groß verlangen? Ich habe, wenn Sie das Wort gelten lassen wollen, ’ne Panoptikumbildung.«

Rex lachte. »Nun, gleichviel. Also der Graf, der die ältere Komtesse Barby heiratete, hieß Ghiberti. Seiner Ehe fehlten indes durchaus die Himmelstüren – soviel läßt sich mit aller Bestimmtheit sagen. Und deshalb kam es zur Scheidung. Ja mehr, die charmante Frau (›charmant‹ ist übrigens ein viel zu plebejes und minderwertiges Wort) hat in ihrer Empörung den Namen Ghiberti wieder abgetan, und alle Welt nennt sie jetzt nur noch bei ihrem Vornamen.«

»Und der ist?«

»Melusine.«

»Melusine? Hören Sie, Rex, das läßt aber tief blicken.«

Unter diesem Gespräch waren sie bis an den Cremmer Damm herangekommen. Es dunkelte schon stark, und ein Gewölk, das am Himmel hinzog, verbarg die Mondsichel. Ein paarmal indessen trat sie hervor, und dann sahen sie bei halber Beleuchtung das Hohenlohedenkmal, das unten im Luche schimmerte. Hinunterzureiten, was noch einmal flüchtig in Erwägung gezogen wurde, verbot sich, und so setzten sie sich in einen munteren Trab und hielten erst wieder in Cremmen vor dem Gasthause »Zum Markgrafen Otto«. Es schlug eben neun von der Nikolaikirche.

Drinnen war man bald in einem lebhaften Gespräch, in dem sich Rex über die in der Stadt herrschende Gesinnung und Kirchlichkeit zu unterrichten suchte. Der Wirt stellte der einen wie der andern ein gleich gutes Zeugnis aus und hatte die Genugtuung, daß ihm Rex freundlich zunickte. Czako aber sagte: »Sagen Sie, Herr Wirt, Sie haben da ein so schönes Billard; ich habe mir jüngst erst sagen lassen, wenn’s wirklich flott gehe, so könne man’s im Jahr bis auf dreitausend Mark bringen.

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