Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 67)

Natürlich bei zwölfstündigem Arbeitstag. Wie steht es damit? Für möglich halt’ ich es.«

NACH DEM »EIERHÄUSCHEN«

 

Elftes Kapitel

Die Barbys, der alte Graf und seine zwei Töchter, lebten seit einer Reihe von Jahren in Berlin, und zwar am Kronprinzenufer, zwischen Alsen- und Moltkebrücke. Das Haus, dessen erste Etage sie bewohnten, unterschied sich, ohne sonst irgendwie hervorragend zu sein (Berlin ist nicht reich an Privathäusern, die Schönheit und Eigenart in sich vereinigen), immerhin vorteilhaft von seinen Nachbarhäusern, von denen es durch zwei Terrainstreifen getrennt wurde; der eine davon ein kleiner Baumgarten, mit allerlei Buschwerk dazwischen, der andre ein Hofraum mit einem zierlichen, malerisch wirkenden Stallgebäude, dessen obere Fenster, hinter denen sich die Kutscherwohnung befand, von wildem Wein umwachsen waren. Schon diese Lage des Hauses hätte demselben ein bestimmtes Maß von Aufmerksamkeit gesichert, aber auch seine Fassade mit ihren zwei Loggien links und rechts ließ die des Weges Kommenden unwillkürlich ihr Auge darauf richten. Hier, in eben diesen Loggien, verbrachte die Familie mit Vorliebe die Früh- und Nachmittagsstunden und bevorzugte dabei, je nach der Jahreszeit mal den zum Zimmer des alten Grafen gehörigen, in pompejischem Rot gehaltenen Einbau, mal die gleichartige Loggia, die zum Zimmer der beiden jungen Damen gehörte. Dazwischen lag ein dritter großer Raum, der als Repräsentations- und zugleich als Eßzimmer diente. Das war, mit Ausnahme der Schlaf- und Wirtschaftsräume, das Ganze, worüber man Verfügung hatte; man wohnte mithin ziemlich beschränkt, hing aber sehr an dem Hause, so daß ein Wohnungswechsel, oder auch nur der Gedanke daran, so gut wie ausgeschlossen war. Einmal hatte die liebenswürdige, besonders mit Gräfin Melusine befreundete Baronin Berchtesgaden einen solchen Wohnungswechsel in Vorschlag gebracht, aber nur um sofort einem lebhaften Widerspruche zu begegnen. »Ich sehe schon, Baronin, Sie führen den ganzen Lennéstraßenstolz gegen uns ins Gefecht. Ihre Lennéstraße! Nun ja, wenn’s sein muß. Aber was haben Sie da groß? Sie haben den Lessing ganz und den Goethe halb. Und um beides will ich Sie beneiden und Ihnen auch die Spreewaldsammen in Rechnung stellen. Aber die Lennéstraßenwelt ist geschlossen, ist zu, sie hat keinen Blick ins Weite, kein Wasser, das fließt, keinen Verkehr, der flutet. Wenn ich in unsrer Nische sitze, die lange Reihe der herankommenden Stadtbahnwaggons vor mir, nicht zu nah und nicht zu weit, und sehe dabei, wie das Abendrot den Lokomotivenrauch durchglüht und in dem Filigranwerk der Ausstellungsparktürmchen schimmert, was will Ihre grüne Tiergartenwand dagegen?« Und dabei wies die Gräfin auf einen gerade vorüberdampfenden Zug, und die Baronin gab sich zufrieden.

Ein solcher Abend war auch heute; die Balkontür stand auf, und ein kleines Feuer im Kamin warf seine Lichter auf den schweren Teppich, der durch das ganze Zimmer hin lag. Es mochte die sechste Stunde sein, und die Fenster drüben an den Häusern der andern Seite standen wie in roter Glut. Ganz in der Nähe des Kamins saß Armgard, die jüngere Tochter, in ihren Stuhl zurückgelehnt, die linke Fußspitze leicht auf den Ständer gestemmt. Die Stickerei, daran sie bis dahin gearbeitet, hatte sie, seit es zu dunkeln begann, aus der Hand gelegt und

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