Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 93)
drippten die Neigen aus. Und in der Ecke stand ein Bettsack, drin die Fräuleins ihre Wäsche hineinstopften, und in der andern Ecke war eine kleine Tür. Aber davon will ich zu Ihnen nicht sprechen, weil ich einen Widerwillen gegen Unanständigkeiten habe, weshalb schon meine Mutter immer sagte: ›Hedwig, du wirst noch Jesum Christum erkennen lernen.‹ Und ich muß sagen, das hat sich bei Hofrats denn auch erfüllt. Aber fromm waren sie weiter nich.«
Während Hedwig noch so weiterklagte, hörte man, daß draußen die Klingel ging, und als Frau Imme öffnete, stand Rudolf auf dem kleinen Flur und sagte, daß er Vatern holen solle und Hedwigen auch; Mutter müsse weg.
»Na«, sagte Frau Imme, »dann komm nur, Rudolf, und iß erst ein Stück Streusel und bestell es nachher bei deinem Vater.«
Bald danach nahm sie denn auch den Jungen bei der Hand und führte ihn in das Nebenzimmer, wo die drei Männer vergnügt an ihrem Skattisch saßen. Ein großes Spiel war eben gemacht; alles noch in Aufregung.
Robinson, als er Rudolfen sah, nickte ihm zu und sagte zu Imme: »Das is ja der hübsche Junge, den ich vorhin auf dem Hof gesehen habe mit seinem hoop; nice boy.«
»Ja«, sagte Imme, »das ist unserm Freund Hartwig seiner.« Hartwig selbst aber rief seinen Jungen heran und sagte: »Na, Rudolf, was gibt’s? Du willst mich holen. Du sollst aber auch noch ’ne Freude haben. Kuck dir mal den Herrn da an, der dich so freundlich ansieht. Das is Robinson.«
»Haha.«
»Ja, Junge, warum lachst du? Glaubst du’s nich, wenn ich dir sage, das is Robinson?«
»I bewahre, Vater. Robinson, den kenn’ ich. Robinson hat ’nen Sonnenschirm und ein Lama. Un der is auch schon lange dod.«
Fünfzehntes Kapitel
Unsere Landpartieler waren im Angesicht von Spindlersfelde nach dem Eierhäuschen zurückgekehrt und hatten sich hier an zwei dicht am Ufer zusammengerückten Tischen niedergelassen, eine Laube von Baumkronen über sich. Sperlinge hüpften umher und warteten auf ihre Zeit. Gleich danach erschien auch ein Kellner, um die Bestellungen entgegenzunehmen. Es entstand dabei die herkömmliche Verlegenheitspause; niemand wußte was zu sagen, bis die Baronin auf den Stamm einer ihr gegenüberstehenden Ulme wies, drauf »Wiener Würstel« und daneben in noch dickeren Buchstaben das gefällige Wort »Löwenbräu« stand. In kürzester Frist erschien denn auch der Kellner wieder, und die Baronin hob ihr Seidel und ließ das Eierhäuschen und die Spree leben, zugleich versichernd, »daß man ein echtes Münchener überhaupt nur noch in Berlin tränke«. Der alte Berchtesgaden wollte jedoch nichts davon wissen und drang in seine Frau, lieber mehr nach links zu rücken, um den Sonnenuntergang besser beobachten zu können; »der sei freilich in Berlin ebenso gut wie woanders«. Die Baronin hielt aber aus und rührte sich nicht. »Was Sonnenuntergang! den seh’ ich jeden Abend. Ich sitze hier sehr gut und freue mich schon auf die Lichter.«
Und nicht lange mehr, so waren diese Lichter auch wirklich da. Nicht nur das ganze Lokal erhellte sich, sondern auch auf dem drüben am andern Ufer sich hinziehenden Eisenbahndamme zeigten sich allmählich die verschiedenfarbigen Signale, während mitten auf der Spree, wo Schleppdampfer die Kähne