Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 94)
zogen, ein verblaktes Rot aus den Kajütenfenstern hervorglühte. Dabei wurde es kühl, und die Damen wickelten sich in ihre Plaids und Mäntel.
Auch die Herren fröstelten ein wenig, und so trat denn der ersichtlich etwas planende Woldemar nach kurzem Aufundabschreiten an das in der Nähe befindliche Büfett heran, um da zur Herstellung einer besseren Innentemperatur das Nötige zu veranlassen. Und siehe da, nicht lange mehr, so stand auch schon ein großes Tablett mit Gläsern und Flaschen vor ihnen und dazwischen ein Deckelkrug, aus dem, als man den Deckel aufklappte, der heiße Wrasen emporschlug. Die Baronin, in solchen Dingen die Scharfblickendste, war sofort orientiert und sagte: »Lieber Stechlin, ich beglückwünsche Sie. Das war eine große Idee.«
»Ja, meine Damen, ich glaubte, daß etwas geschehen müsse, sonst haben wir morgen samt und sonders einen akuten Rheumatismus. Und zurück müssen wir doch auch. Auf dem Schiffe, wo solche Hilfsmittel, glaub’ ich, fehlen, sind wir allen Unbilden der Elemente preisgegeben.«
»Und Sie konnten wirklich nicht besser wählen«, unterbrach Melusine. »Schwedischer Punsch, für den ich ein liking habe. Wie für Schweden überhaupt. Da Doktor Wrschowitz nicht da ist, können wir uns ungestraft einem gewissen Maß von Skandinavismus überlassen.«
»Am liebsten ohne alles Maß«, sagte Woldemar, »so skandinavisch bin ich. Ich ziehe die Skandinaven den sonst ›Meistbegünstigten‹ unter den Nationen immer noch vor. Alle Länder erweitern übrigens ihre Spezialgebiete. Früher hatte Schweden nur zweierlei: Mut und Eisen, von denen man sagen muß, daß sie gut zusammenpassen. Dann kamen die ›Säkerhets Tändstickors‹, und nun haben wir den schwedischen Punsch, den ich in diesem Augenblick unbedingt am höchsten stelle. Ihr Wohl, meine Damen.«
»Und das ihre«, sagte Melusine, »denn Sie sind doch der Schöpfer dieses glücklichen Moments. Aber wissen Sie, lieber Stechlin, daß ich in Ihrer Aufzählung schwedischer Herrlichkeiten etwas vermißt habe. Die Schweden haben noch eins – oder hatten es wenigstens. Und das war die schwedische Nachtigall.«
»Ja, die hab’ ich vergessen. Es fällt vor meine Zeit.«
»Ich müßte«, lachte die Gräfin, »vielleicht auch sagen: es fällt vor meine Zeit. Aber ich darf doch andrerseits nicht verschweigen, die Lind noch leibhaftig gekannt zu haben. Freilich nicht mehr so eigentlich als schwedische Nachtigall. Und überhaupt unter anderm Namen.«
»Ja, ich erinnere mich«, sagte Woldemar, »sie hatte sich verheiratet. Wie hieß sie doch?«
»Goldschmidt – ein Name, den man schon um ›Goldschmieds Töchterlein‹ willen gelten lassen kann. Aber an Jenny Lind reicht er allerdings nicht heran.«
»Gewiß nicht. Und Sie sagten, Frau Gräfin, Sie hätten sie noch persönlich gekannt?«
»Ja, gekannt und auch gehört. Sie sang damals, wenn auch nicht mehr öffentlich, so doch immer noch in ihrem häuslichen Salon. Diese Bekanntschaft zählt zu meinen liebsten und stolzesten Erinnerungen. Ich war noch ein halbes Kind, aber trotzdem doch mit eingeladen, was mir allein schon etwas bedeutete. Dazu die Fahrt von Hyde-Park bis in die Villa hinaus. Ich weiß noch deutlich, ich trug ein weißes Kleid und einen hellblauen Kaschmirumhang und das Haar ganz aufgelöst. Die Lind beobachtete mich, und ich sah, daß ich ihr gefiel. Wenn man Eindruck macht, das behält man. Und nun gar mit vierzehn!«
»Die Lind«, warf die