Ungekürztes Werk "Die Leiden des Jungen Werthers" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 24)
abend! Sie sind fürchterlich, wenn Sie so lustig sind.« Unter uns, ich passe die Zeit ab, wenn er zu tun hat, wutsch! bin ich drauß, und da ist mir's immer wohl, wenn ich sie allein finde.
Am 8. Aug.
Ich bitte Dich, lieber Wilhelm! Es war gewiß nicht auf Dich geredt, wenn ich schrieb: schafft mir die Kerls vom Hals, die sagen, ich sollte mich resignieren. Ich dachte wahrscheinlich nicht dran, daß Du von ähnlicher Meinung sein könntest. Und im Grunde hast Du recht! Nur eins, mein Bester, in der Welt ist's sehr selten mit dem Entweder-Oder getan, es gibt so viel Schattierungen der Empfindungen und Handlungsweisen als Abfälle zwischen einer Habichts- und Stumpfnase.
Du wirst mir also nicht übelnehmen, wenn ich Dir Dein ganzes Argument einräume und mich doch zwischen dem Entweder-Oder durchzustehlen suche.
Entweder, sagst Du, hast du Hoffnung auf Lotten, oder du hast keine. Gut! Im ersten Falle such sie durchzutreiben, suche die Erfüllung deiner Wünsche zu umfassen, im andern Falle ermanne dich und suche einer elenden Empfindung loszuwerden, die all deine Kräfte verzehren muß. Bester, das ist wohl gesagt und – bald gesagt.
Und kannst Du von dem Unglücklichen, dessen Leben unter einer schleichenden Krankheit unaufhaltsam allmählich abstirbt, kannst Du von ihm verlangen, er solle durch einen Dolchstoß der Qual auf einmal ein Ende machen? Und raubt das Übel, das ihm die Kräfte wegzehrt, ihm nicht auch zugleich den Mut, sich davon zu befreien?
Zwar könntest Du mir mit einem verwandten Gleichnisse antworten: wer ließe sich nicht lieber den Arm abnehmen, als daß er durch Zaudern und Zagen sein Leben aufs Spiel setzte – Ich weiß nicht – und wir wollen uns nicht in Gleichnissen herumbeißen. Genug – Ja, Wilhelm, ich habe manchmal so einen Augenblick aufspringenden, abschüttelnden Muts, und da, wenn ich nur wüßte wohin, ich ginge wohl.
Am 10. Aug.
Ich könnte das beste, glücklichste Leben führen, wenn ich nicht ein Tor wäre. So schöne Umstände vereinigen sich nicht leicht zusammen, eines Menschen Herz zu ergötzen, als die sind, in denen ich mich jetzt befinde. Ach, so gewiß ist's, daß unser Herz allein sein Glück macht! Ein Glied der liebenswürdigen Familie auszumachen, von dem Alten geliebt zu werden wie ein Sohn, von den Kleinen wie ein Vater und von Lotten – und nun der ehrliche Albert, der durch keine launische Unart mein Glück stört, der mich mit herzlicher Freundschaft umfaßt, dem ich nach Lotten das Liebste auf der Welt bin – Wilhelm, es ist eine Freude, uns zu hören, wenn wir spazieren gehn und uns einander von Lotten unterhalten, es ist in der Welt nichts Lächerlichers erfunden worden als dieses Verhältnis, und doch kommen mir drüber die Tränen oft in die Augen.
Wenn er mir so von ihrer rechtschaffenen Mutter erzählt, wie die auf ihrem Todbette Lotten ihr Haus und ihre Kinder übergeben und ihm Lotten anbefohlen habe, wie seit der Zeit ein ganz anderer Geist Lotten belebt, wie sie in Sorge für ihre Wirtschaft und im Ernste eine wahre Mutter geworden, wie kein Augenblick ihrer Zeit ohne tätige Liebe, ohne