Ungekürztes Werk "Faust 1" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 49)

nicht?

VALENTIN. Auch den!

MEPHISTOPHELES.    Gewiß!

VALENTIN.                                Ich glaub, der Teufel ficht!

Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm!

MEPHISTOPHELES zu Faust. Stoß zu!

VALENTIN fällt.                                       O weh!

MEPHISTOPHELES. Nun ist der Lümmel zahm!

Nun aber fort! wir müssen gleich verschwinden;

Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrei!

Ich weiß mich trefflich mit der Polizei,

Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.

MARTHE am Fenster. Heraus! heraus!

GRETCHEN am Fenster.                       Herbei ein Licht!

MARTHE wie oben. Man schilt und rauft, man schreit und ficht!

VOLK. Da liegt schon einer tot!

MARTHE heraustretend. Die Mörder, sind sie denn entflohn?

GRETCHEN heraustretend. Wer liegt hier?

VOLK.                                                            Deiner Mutter Sohn!

GRETCHEN. Allmächtiger! welche Not!

VALENTIN. Ich sterbe! Das ist bald gesagt

Und bälder noch getan.

Was steht ihr, Weiber, heult und klagt?

Kommt her und hört mich an!

Alle treten um ihn.

Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,

Bist gar noch nicht gescheit genung,

Machst deine Sachen schlecht.

Ich sag dirs im Vertrauen nur:

Du bist doch nun einmal eine Hur;

So seis auch eben recht!

GRETCHEN. Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?

VALENTIN. Laß unsern Herrgott aus dem Spaß!

Geschehn ist leider nun geschehn,

Und wie es gehn kann, so wirds gehn.

Du fingst mit einem heimlich an,

Bald kommen ihrer mehre dran,

Und wenn dich erst ein Dutzend hat,

So hat dich auch die ganze Stadt.

 

Wenn erst die Schande wird geboren,

Wird sie heimlich zur Welt gebracht,

Und man zieht den Schleier der Nacht

Ihr über Kopf und Ohren;

Ja, man möchte sie gern ermorden.

Wächst sie aber und macht sich groß,

Dann geht sie auch bei Tage bloß

Und ist doch nicht schöner geworden.

Je häßlicher wird ihr Gesicht,

Je mehr sucht sie des Tages Licht.

 

Ich seh wahrhaftig schon die Zeit,

Daß alle brave Bürgersleut

Wie von einer angesteckten Leichen

Von dir, du Metze! seitab weichen.

Dir soll das Herz im Leib verzagen,

Wenn sie dir in die Augen sehn!

Sollst keine goldne Kette mehr tragen!

In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!

In einem schönen Spitzenkragen

Dich nicht beim Tanze wohlbehagen!

In eine finstre Jammerecken

Unter Bettler und Krüppel dich verstecken,

Und wenn dir denn auch Gott verzeiht,

Auf Erden sein vermaledeit!

 

MARTHE. Befehlt Eure Seele Gott zu Gnaden!

Wollt Ihr noch Lästrung auf Euch laden?

VALENTIN. Könnt ich dir nur an den dürren Leib,

Du schändlich-kupplerisches Weib!

Da hofft ich aller meiner Sünden

Vergebung reiche Maß zu finden.

GRETCHEN. Mein Bruder! Welche Höllenpein!

VALENTlN. Ich sage, laß die Tränen sein!

Da du dich sprachst der Ehre los,

Gabst mir den schwersten Herzensstoß.

Ich gehe durch den Todesschlaf

Zu Gott ein als Soldat und brav. Stirbt.

Dom

 

Amt, Orgel und Gesang.

Gretchen unter vielem Volk. Böser Geist hinter Gretchen.

 

BÖSER GEIST. Wie anders, Gretchen, war dirs,

Als du noch voll Unschuld

Hier zum Altar tratst,

Aus dem vergriffnen Büchelchen

Gebete lalltest,

Halb Kinderspiele,

Halb Gott im Herzen!

Gretchen!

Wo steht dein Kopf?

In deinem Herzen

Welche Missetat?

Betst du für deiner Mutter Seele, die

Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?

Auf deiner Schwelle wessen Blut? –

Und unter

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