Ungekürztes Werk "Faust 1" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 50)

deinem Herzen

Regt sichs nicht quillend schon

Und ängstet dich und sich

Mit ahnungsvoller Gegenwart?

GRETCHEN. Weh! Weh!

Wär ich der Gedanken los,

Die mir herüber- und hinübergehen

Wider mich!

CHOR. Dies irae, dies illa

Solvet saeclum in favilla.

Orgelton.

BÖSER GEIST. Grimm faßt dich!

Die Posaune tönt!

Die Gräber beben!

Und dein Herz,

Aus Aschenruh

Zu Flammenqualen

Wieder aufgeschaffen,

Bebt auf!

GRETCHEN. Wär ich hier weg!

Mir ist, als ob die Orgel mir

Den Atem versetzte,

Gesang mein Herz

Im Tiefsten löste.

CHOR. Judex ergo cum sedebit,

Quidquid latet adperebit,

Nil inultum remanebit.

GRETCHEN. Mir wird so eng!

Die Mauerpfeiler

Befangen mich!

Das Gewölbe

Drängt mich! – Luft!

BÖSER GEIST. Verbirg dich! Sünd und Schande

Bleibt nicht verborgen.

Luft? Licht?

Weh dir!

CHOR. Quid sum miser tunc dicturus?

Quem patronum rogaturus,

Cum vix justus sit securus?

BÖSER GEIST. Ihr Antlitz wenden

Verklärte von dir ab.

Die Hände dir zu reichen,

Schauerts die Reinen.

Weh!

CHOR. Quid sum miser tunc dicturus?

GRETCHEN. Nachbarin! Euer Fläschchen! –

Sie fällt in Ohnmacht.

Walpurgisnacht

 

Harzgebirg. Gegend von Schierke und Elend.

Faust, Mephistopheles.

 

MEPHISTOPHELES. Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?

Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.

Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.

FAUST. Solang ich mich noch frisch auf meinen Beinen fühle,

Genügt mir dieser Knotenstock.

Was hilfts, daß man den Weg verkürzt!

Im Labyrinth der Täler hinzuschleichen,

Dann diesen Felsen zu ersteigen,

Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,

Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!

Der Frühling webt schon in den Birken,

Und selbst die Fichte fühlt ihn schon;

Sollt er nicht auch auf unsre Glieder wirken?

MEPHISTOPHELES. Fürwahr, ich spüre nichts davon!

Mir ist es winterlich im Leibe,

Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.

Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe

Des roten Monds mit später Glut heran

Und leuchtet schlecht, daß man bei jedem Schritte

Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!

Erlaub, daß ich ein Irrlicht bitte!

Dort seh ich eins, das eben lustig brennt.

Heda, mein Freund! darf ich dich zu uns fodern?

Was willst du so vergebens lodern?

Sei doch so gut und leucht uns da hinauf!

IRRLICHT. Aus Ehrfurcht, hoff ich, soll es mir gelingen,

Mein leichtes Naturell zu zwingen;

Nur zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.

MEPHISTOPHELES. Ei! ei! Er denkts den Menschen nachzuahmen.

Geh Er nur grad, ins Teufels Namen!

Sonst blas ich Ihm Sein Flackerleben aus.

IRRLICHT. Ich merke wohl, Ihr seid der Herr vom Haus,

Und will mich gern nach Euch bequemen.

Allein bedenkt: der Berg ist heute zaubertoll,

Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll,

So müßt Ihrs so genau nicht nehmen.

 

FAUST, MEPHISTOPHELES, IRRLICHT im Wechselgesang.

In die Traum- und Zaubersphäre

Sind wir, scheint es, eingegangen.

Führ uns gut und mach dir Ehre,

Daß wir vorwärts bald gelangen

In den weiten, öden Räumen!

 

Seh die Bäume hinter Bäumen,

Wie sie schnell vorüberrücken,

Und die Klippen, die sich bücken,

Und die langen Felsennasen,

Wie sie schnarchen, wie sie blasen!

 

Durch die Steine, durch den Rasen

Eilet Bach und Bächlein nieder.

Hör ich Rauschen? hör ich Lieder?

Hör

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